Bin ich wichtig?

Brief an das Reeperbahn Festival 2012

Macht doch ein­er mal die Tür auf! (Bild: hhf/M. Heck­mann)

Liebes Reeper­bahn Fes­ti­val,

ich wollte wirk­lich ein­fach eine gute Zeit mit dir ver­brin­gen, aber du hast es mir dieses Jahr nicht leicht gemacht. Täuscht mich etwa mein Ein­druck, dass du mich teil­weise ignori­ert hast und auch ein wenig abweisend zu mir gewe­sen bist?

Nur in manchen Momenten fühlte ich mich von dir wahrgenom­men, mit ein wenig Wärme und Zunei­gung bedacht. Du hängst jet­zt lieber mit den coolen, ver­meintlich wichtigeren Leuten aus dem Aus­land bei den Tanzen­den Tür­men ab, und daraus machst du auch keinen Hehl. Aber, irgend­wie beschle­icht mich das Gefühl, dass sie dir inzwis­chen ein­fach wichtiger gewor­den sind. Was sagen sie über dich? “Es ist das Tre­f­fen der Musik­branche in Deutsch­land”. Aber, jet­zt frage ich mich: Und wo ist da noch mein Platz?

Na gut, du hat­test wirk­lich viel um die Ohren, und es war sicher­lich auch stres­sig. Drei Tage lang volles Pro­gramm in 60 Loca­tions, 350 Pro­gramm­punk­te und 290 Kün­stler. Es gab Meet­ings und Gespräche mit den Gästen aus aller Welt. Und da du dir ja “Music, Cam­pus, Arts” auf die Fah­nen geschrieben hat­test, gab es auch noch hie und da auch noch etwas Kun­st.

Ein Tag hat ja nur 24 Stun­den, und ein Auftritt eines Acts dauert im Schnitt 60 Minuten. Das ist eine ganze Menge Holz und es sieht auf dem Papi­er auch beein­druck­end aus. Doch blieben für mich nur ein paar Krümel von dem reich­halti­gen Kuchen übrig. Dazu musste man auch noch die Wege von ein­er Loca­tion zur anderen in Kauf nehmen, und wenn man es nicht rechtzeit­ig von A nach B geschafft hat­te, dann war es dur­chaus möglich, dass einem die Sicht auf die Bühne oder die Tür ganz und gar versper­rt blieb.

Ich möchte aber nicht nur nörgeln, denn es gab ja auch diese schö­nen Augen­blicke. Danke für die wun­der­vollen Spielorte wie das Impe­r­i­al The­ater und die St. Pauli Kirche. Bei “Die Höch­ste Eisen­bahn” kon­nte ich über die so fre­undlich vor­ge­tra­ge­nen melan­cholis­chen Texte von Francesco Wilk­ing, Moritz Krämer und Max Schröder schmun­zeln.

Husky kon­nten mit ihren hüb­schen Har­monien mein Herz und die Kirchen­mauern der St. Pauli Kirche erwär­men. Als diese net­ten Aus­tralier dann noch ein Stück kom­plett ohne Ver­stärkung spiel­ten und alle mit­san­gen, war das ein­er dieser Momente, die ich nicht mis­sen mag.

Es war ein Erleb­nis, Michael Woll­ny zuzuschauen, wie er die Tas­ten und Ped­ale des Flügels bear­beit­ete und mit seinen Mit­musik­ern Eric Schäfer und Eva Kruse Klangge­bilde entste­hen ließ.

Und wann kann man dazu schon das Geräusch umkip­pen­der Bier­flaschen in ein­er Kirche hören?

Ja, Jazz hat­test du auch zu bieten, aber dein Anliegen, jet­zt auch noch klas­sis­che Musik unterzubrin­gen, und damit ein weit­eres Genre auf deine Agen­da zu schreiben, scheint nicht so recht aufge­gan­gen zu sein. Es führte aber zumin­d­est dazu, dass du den Pianis­ten Hausch­ka in dein Pro­gramm mit aufgenom­men hast.

Es war schon fast ein Slap­stick-Moment, als er das Gaffa-Tape zück­te, um die Sait­en seines Flügels zu prä­pari­eren, und wie wurde ges­taunt, welche Geräusche entste­hen, wenn man nach und nach Tis­chten­nis­bälle in einen Flügel wirft. Und als er sich dann – nach eigen­er Aus­sage — nach 30 Minuten war­mge­spielt hat­te, stand uns wohl allen bei “Radar” vor Staunen der Mund offen, als der Bass ein­set­zte.

Natür­lich habe ich nicht nur die ruhigeren Pro­gramm­punk­te wahrgenom­men. Zu Vetos elek­tro­n­is­chen Beats im Grünspan und Cos­mo Jarvis’ hingerotzen Kneipen­pop in der proppevollen, über­hitzten Molo­tow-Bar kon­nte ich das Tanzbein schwin­gen.

Und bei dem Auftritt von Tere­sa Suarez aka Teri Gen­der Ben­der als Sän­gerin der Omar Rodriguez Lopez Group habe ich eine der unberechen­barsten Frauen auf der Bühne des Uebel&Gefährlich erlebt. Ich habe sel­ten eine sich uneitler gebär­dende Frau am Mikro­fon gese­hen, die aber eine so volle und düstere Stimme hat, dass sie gegen das Progrock-Gewit­ter ihrer ges­tande­nen Band­kol­le­gen ankommt.

Und doch blieb blieb mir die ganze Zeit der bit­tere Beigeschmack, dass ich ger­ade jet­zt vielle­icht etwas anderes Großar­tiges ver­passen kön­nte. Dein enger Ter­min­plan ließ mir aber keine andere Wahl. Ich kann mich ja nun auch nicht zweit­eilen.

Du kannst nicht jedem gerecht wer­den, und du ver­suchst es irgend­wie ja trotz­dem. Es bleibt nicht aus, dass man sich dadurch zwangsläu­fig irgend­wann in der Unüber­sichtlichkeit ver­liert. Gerne hätte ich noch mehr gese­hen und mehr ent­deck­en wollen von dem, was du noch zu bieten hast.

Meinst du nicht, du hast dich auch ein wenig über­nom­men? Oder bin ich dir am Ende gar nicht mehr so wichtig und auch nur eine bloße Num­mer, die du voller Stolz deinen Fre­un­den und Kol­le­gen aus dem Aus­land zeigst?

Deine Besucherin

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*