Liebes Reeperbahn Festival,
ich wollte wirklich einfach eine gute Zeit mit dir verbringen, aber du hast es mir dieses Jahr nicht leicht gemacht. Täuscht mich etwa mein Eindruck, dass du mich teilweise ignoriert hast und auch ein wenig abweisend zu mir gewesen bist?
Nur in manchen Momenten fühlte ich mich von dir wahrgenommen, mit ein wenig Wärme und Zuneigung bedacht. Du hängst jetzt lieber mit den coolen, vermeintlich wichtigeren Leuten aus dem Ausland bei den Tanzenden Türmen ab, und daraus machst du auch keinen Hehl. Aber, irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass sie dir inzwischen einfach wichtiger geworden sind. Was sagen sie über dich? “Es ist das Treffen der Musikbranche in Deutschland”. Aber, jetzt frage ich mich: Und wo ist da noch mein Platz?
Na gut, du hattest wirklich viel um die Ohren, und es war sicherlich auch stressig. Drei Tage lang volles Programm in 60 Locations, 350 Programmpunkte und 290 Künstler. Es gab Meetings und Gespräche mit den Gästen aus aller Welt. Und da du dir ja “Music, Campus, Arts” auf die Fahnen geschrieben hattest, gab es auch noch hie und da auch noch etwas Kunst.
Ein Tag hat ja nur 24 Stunden, und ein Auftritt eines Acts dauert im Schnitt 60 Minuten. Das ist eine ganze Menge Holz und es sieht auf dem Papier auch beeindruckend aus. Doch blieben für mich nur ein paar Krümel von dem reichhaltigen Kuchen übrig. Dazu musste man auch noch die Wege von einer Location zur anderen in Kauf nehmen, und wenn man es nicht rechtzeitig von A nach B geschafft hatte, dann war es durchaus möglich, dass einem die Sicht auf die Bühne oder die Tür ganz und gar versperrt blieb.
Ich möchte aber nicht nur nörgeln, denn es gab ja auch diese schönen Augenblicke. Danke für die wundervollen Spielorte wie das Imperial Theater und die St. Pauli Kirche. Bei “Die Höchste Eisenbahn” konnte ich über die so freundlich vorgetragenen melancholischen Texte von Francesco Wilking, Moritz Krämer und Max Schröder schmunzeln.
Husky konnten mit ihren hübschen Harmonien mein Herz und die Kirchenmauern der St. Pauli Kirche erwärmen. Als diese netten Australier dann noch ein Stück komplett ohne Verstärkung spielten und alle mitsangen, war das einer dieser Momente, die ich nicht missen mag.
Es war ein Erlebnis, Michael Wollny zuzuschauen, wie er die Tasten und Pedale des Flügels bearbeitete und mit seinen Mitmusikern Eric Schäfer und Eva Kruse Klanggebilde entstehen ließ.
Und wann kann man dazu schon das Geräusch umkippender Bierflaschen in einer Kirche hören?
Ja, Jazz hattest du auch zu bieten, aber dein Anliegen, jetzt auch noch klassische Musik unterzubringen, und damit ein weiteres Genre auf deine Agenda zu schreiben, scheint nicht so recht aufgegangen zu sein. Es führte aber zumindest dazu, dass du den Pianisten Hauschka in dein Programm mit aufgenommen hast.
Es war schon fast ein Slapstick-Moment, als er das Gaffa-Tape zückte, um die Saiten seines Flügels zu präparieren, und wie wurde gestaunt, welche Geräusche entstehen, wenn man nach und nach Tischtennisbälle in einen Flügel wirft. Und als er sich dann – nach eigener Aussage — nach 30 Minuten warmgespielt hatte, stand uns wohl allen bei “Radar” vor Staunen der Mund offen, als der Bass einsetzte.
Natürlich habe ich nicht nur die ruhigeren Programmpunkte wahrgenommen. Zu Vetos elektronischen Beats im Grünspan und Cosmo Jarvis’ hingerotzen Kneipenpop in der proppevollen, überhitzten Molotow-Bar konnte ich das Tanzbein schwingen.
Und bei dem Auftritt von Teresa Suarez aka Teri Gender Bender als Sängerin der Omar Rodriguez Lopez Group habe ich eine der unberechenbarsten Frauen auf der Bühne des Uebel&Gefährlich erlebt. Ich habe selten eine sich uneitler gebärdende Frau am Mikrofon gesehen, die aber eine so volle und düstere Stimme hat, dass sie gegen das Progrock-Gewitter ihrer gestandenen Bandkollegen ankommt.
Und doch blieb blieb mir die ganze Zeit der bittere Beigeschmack, dass ich gerade jetzt vielleicht etwas anderes Großartiges verpassen könnte. Dein enger Terminplan ließ mir aber keine andere Wahl. Ich kann mich ja nun auch nicht zweiteilen.
Du kannst nicht jedem gerecht werden, und du versuchst es irgendwie ja trotzdem. Es bleibt nicht aus, dass man sich dadurch zwangsläufig irgendwann in der Unübersichtlichkeit verliert. Gerne hätte ich noch mehr gesehen und mehr entdecken wollen von dem, was du noch zu bieten hast.
Meinst du nicht, du hast dich auch ein wenig übernommen? Oder bin ich dir am Ende gar nicht mehr so wichtig und auch nur eine bloße Nummer, die du voller Stolz deinen Freunden und Kollegen aus dem Ausland zeigst?
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