Sommerserie: Was macht die Redaktion in der Ferienzeit?

3. Folge: HHF-Theaterkritikerin Natalie Fingerhut bleibt in Jena vor dem Theater

Unten das Chaos, oben das Böse (Bild: Theater Jena)
Unten das Chaos, oben das Böse (Bild: The­ater­haus Jena)

Ja, es ist Som­mer­zeit. Und es ist tat­säch­lich warm, und es sind Ferien. Die Thea­ter schla­fen – natür­lich berei­ten sie Gro­ßes vor, ein paar Fes­ti­vals düm­peln vor sich hin, und auch unsere Redak­tion macht hie und da Ferien.

Was wir so trei­ben? Natür­lich schauen wir wei­ter in der Welt der Kul­tur herum und kön­nen die eine oder andere Geschichte erzäh­len, schrei­ben viel­leicht über lie­gen geblie­bene The­men oder lesen ein­fach mal die Büch­er, die wir schon immer mal lesen woll­ten. So stel­len wir in los­er Folge vor, was wir zur­zeit ger­ade machen. Unsere The­aterkri­tik­erin Natal­ie Fin­ger­hut war in Jena und hat sich Bul­gakows »Meis­ter und Mar­gari­ta« als Som­mer­spek­takel auf dem Vor­platz des The­ater­haus­es angeschaut.

Knapp 500 Seit­en Vor­lage, eine über­bor­dende, magisch-ver­schlun­gene Geschichte voller Neben­stränge, voll bös­er Satire und schwarz­er Komik: Michail Bul­gakows Kul­tro­man “Der Meis­ter und Mar­gari­ta” bietet eigentlich Stoff für mehrere The­at­er­abende. In Jena schreckt das keinen. 60 Sta­tis­ten, vier Musik­er, zehn Schaus­piel­er und zwei Regis­seure (Moritz Schö­neck­er und Johan­na Wehn­er), dazu ein offen­sichtlich kon­ge­niales Team aus Kostüm­bild­ner­in (Veroni­ka Blef­fert), Büh­nen­bild­ner (Ben­jamin Schö­neck­er) und den Videokün­stlern von “impul­skon­trolle”: Dieser wahnsin­nige Haufen nimmt sich des Stoffes an – und hat ganz offen­sichtlich nicht nur einen guten Griff damit getan, son­dern auch noch einen Hei­denspaß daran.

Vom 11. Juli bis 25. August gön­nt sich Jena einen Som­mer voll The­ater, Konz­ert und Film auf dem The­ater­vor­platz. Die Eröff­nung gestal­tet das The­ater­haus selb­st mit einem großen Som­mer­spek­takel, bevor das Ensem­ble in die Spielzeit­pause geht. Und die haben sie nach diesem Kraftakt sich­er nötig. Nicht, dass der Abend nach Anstren­gung aussieht; doch allein der Gedanke, eine Fas­sung aus Bul­gakows Werk zu schaf­fen und diese in fünf Wochen mit Par­al­lel­proben (da zwei Regis­seure!) auf die Bühne zu stem­men, ver­langt Einiges an Respekt ab.

Aber begin­nen wir von vorn. Eine Bühne über die gesamte Bre­ite des The­ater­haus­es. Hier hat Voland, der Teufel höch­st­per­sön­lich, genü­gend Platz, sein Unwe­sen zu treiben, wenn er möchte, gar an mehreren Orten gle­ichzeit­ig, live und auf der Lein­wand. Iwan Niko­la­je­w­itsch Ponyrew (Dichter) und Michail Alexandrow­itsch Berlioz (Vor­sitzen­der ein­er Lit­er­aturvere­ini­gung) disku­tieren über die (Nicht-)Existenz Gottes, als ein Aus­län­der auftritt, ein androg­y­n­er Fremder namens Voland. Dem scheint der athe­is­tis­che Gedanke der bei­den nicht recht zu passen – bedeutet die Leug­nung Gottes kon­se­quenter­weise auch die Leug­nung des Teufels.

Die starke Ein­stiegsszene des Romans ist auch die der The­ater­fas­sung geblieben, die bere­its in den ersten Minuten (fast) allen am Stück Beteiligten die Möglichkeit bietet, in ein­er der diversen Rollen die Bühne mit Leben, Komik und Chaos zu füllen. Voland straft den ungläu­bi­gen Berlioz mit ein­er strik­ten Tode­sprog­nose durch eine Straßen­bahn, die denn auch einige Minuten später auf die Bühne rollt. Eine grandiose von Kopf bis Fuß in diversen rus­sis­chen Stil­rich­tun­gen gewan­dete Sta­tis­terie hat sich die 2D-Straßen­bahn über die Schul­tern gehängt und enthauptet stampfend und uner­bit­tlich den stürzen­den Berlioz. Slap­stick ist das von fein­ster Art und Güte, wenn der Gum­mikopf über die Bühne fliegt und Volands dick­er Kater Behe­moth (grandios komisch: Yves Wüthrich) damit Fußball spielt. Und die teu­flisch gute Band rund um Natal­ie Hünig – son­st auch als Volands teu­flis­ch­er Gehil­fe Asasel­lo unter­wegs – spielt eine hin­reißende Ver­sion von “Put Your Head On My Shoul­der”.

Über­haupt ist diese Teufels-Com­bo eine ganz beson­dere. Ella Gais­er als Voland spielt ihren geschmei­dig-ele­gan­ten, hoch-kul­tivierten androg­y­nen Teufelskerl so kühl und gle­ichzeit­ig höl­len­heiß despo­tisch, dass man fast Mitleid hat mit den Fig­uren, die er im Laufe des Abends in den Wahnsinn treibt. Gemein­sam mit ihrem teu­flis­chen Ges­pann treibt sie den Abend voran, und ihre Gehil­fen Korow­jew (Math­ias Znidarec), der Kater Behe­moth und Asasel­lo tun ihr Übriges, dass das Pub­likum dem Moment ent­ge­gen­fiebert, in dem die Vier wieder mal ordentlich Schaden anricht­en. Und wenn “Asasel­lo” Natal­ie Hünig mit den Musik­ern “Gib mir den Vod­ka, Anusch­ka” in herzzer­reißen­dem rus­sis­chen Akzent intoniert, darf das Chaos auf der Bühne über­hand nehmen, und das ist so reizend, so schräg und komisch, dass die Roman­vor­lage spie­lend leicht zum grandiosen Spek­takel wird.

Über­raschend, dass das Regie-Duo tat­säch­lich sämtliche Erzählstränge des Romans leicht­füßig miteinan­der verbindet. Auch die Geschichte um Pon­tius Pila­tus während der let­zten Tage Jesu Christi find­et ihren Platz im gewoll­ten Chaos der Satire über eine in ihrer Bürokratie ver­hafteten Gesellschaft. Und den­noch: Hier wird kein­er erlöst. Denn keine größere Sünde als die Feigheit gibt es, und das Volk ist feige, käu­flich und kor­rumpier­bar. Während der teu­flis­che Voland in Medi­a­tion­shal­tung als Schat­ten­bild zu sehen ist, wird ein Wider­sach­er nach dem anderen aus dem Weg geräumt – und kein­er hat es anders ver­di­ent.

Man kön­nte Seit­en schreiben über diesen prallen Abend voll ver­liebter Details. Vom ver­rück­ten Meis­ter (Ben­jamin Mährlein) in der Irre­nanstalt, dubiosen Ärzten, die sich­er mit dem Teufel im Bunde sind; über die schöne Mar­gari­ta, die sich in ihrer Liebe zu ihrem Meis­ter so wenig beir­ren lässt, dass sie in schwarzem Latex die Köni­gin ein­er Walpur­gis­nacht mimt – nur um ihn wiederzuse­hen; oder von dem Vari­eté-Büro, in das der Wahnsinn natür­lich auch Einzug gehal­ten hat (grandios in diversen Rollen: Sebas­t­ian Thiers, Oliv­er Koni­et­zny und Tina Keserovic).

Doch genau da begin­nt das Prob­lem: Der Abend zer­fällt am Ende in seine Stränge, er ver­liert die Strin­genz und Kon­se­quenz der ersten bei­den Stun­den. Doch tut ihm das irgend­wie keinen Abbruch. Wed­er merkt man dem Abend an, dass er aus zwei  Regiehand­schriften beste­ht noch nimmt man übel, dass man der Geschichte am Ende eben doch nicht mehr fol­gt. Zu groß das Chaos, zu vielschichtig die Vor­lage. Und zu spiel­freudig das Ensem­ble, zu schön die Gle­ichzeit­igkeit der auf der Bühne sich entwick­el­nden Hand­lun­gen. Und wenn man ehrlich ist, hätte Bul­gakow wahrschein­lich auch nichts anderes gewollt: ein­mal an der Zen­sur vor­bei ordentlich die Bühne rock­en mit viel Bums, Komik, tre­ff­sicher­er Boshaftigkeit, Fan­tasie und schnei­den­der Intel­li­genz. Das ist in Jena gelun­gen.

 

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