Es beginnt mit einem Zitat. Die ersten Takte von “Alles Rot” klingen sehr nach “Asyl im Paradies”, von der letzten Platte, die Silly noch mit Tamara Danz gemacht haben. Das war 1996 und Silly war eine “Ostrockband”. Inzwischen ist viel passiert, Tamara Danz starb noch im selben Jahr an Krebs, und damit hätte die Bandgeschichte zu Ende sein müssen.
Tamara Danz war Stimme und Gesicht der Gruppe. Im Gegensatz zu anderen Bands, die in der DDR erfolgreich waren, versuchten Uwe Hassbecker, Richy Barton und Jäcki Reznicek sich neu zu finden und nicht im dumpfen Sumpf der Privatsender-Ostalgie-Shows zu versinken. Nach Best-of-Alben und Livemitschnitten fanden sie 2006 eine neue Sängerin, die bis dahin vor allem als Film-Schauspielerin und eheliche Red-Carpet Begleitung des Tatort-Stars Jan Josef Liefers bekannt geworden war. Dieses ist das erste Album mit der neuen Besetzung. Das “Paradies”-Zitat ist allerdings der letzte Rückgriff auf die alte Zeit. Mit Anna Loos haben die Musiker eine fulminante Sängerin gefunden, und sie hat mit Sicherheit eine neue Berufung. Die Kombination zwischen Sängerin und Band ist glückhaft, die Stimme passt und kommt gottlob – trotz ähnlicher Lage – nie in den Verdacht, ein Danz-Cover zu sein.
Eine weitere glückliche Zusammenarbeit prägt das Album, und diese ist wiederum eine alte. Werner Karma hat die Texte geschrieben, hat einen Sound gefunden, der die alte Widerborstigkeit, das Schnoddrige und die alltagstaugliche Poesie der alten Silly-Songs in die neue Zeit transportiert. Karma hatte in den alten Tagen viele der erfolgreichen Lieder (“Bataillon d’Amour”) geschrieben, und – wohl nach anfänglichem Zögern – jetzt die neuen. Es sind immer wieder aufmüpfige Gesten, die die Geschichten präsentieren, das “du merkst ja gar nicht, wer ich wirklich bin”, und das verkörpert Anna Loos glaubhaft und mit Kraft wie im Titelsng “Alles rot” und gelegentlich mit Zartheit (“Erinnert”). Eine Hommage an Tamara Danz fehlt nicht (“Sonnenblumen”), kein aufgeblasenes Requiem, sondern ein einfaches Lied mit E‑Pianobegleitung und dezentem Streichersound – eine Verneigung. Man könnte die Reihe fortsetzen, aber über die Güte mag der geneigte Hörer selbst entscheiden.
Was das Album wirklich adelt, ist die Verbindung zwischen den vertrauten Stärken und dem Blick nach vorn. Silly versucht sich nicht auf “wir waren mal groß in der DDR”, sondern hat sich neu erfunden. Gewiss ist da noch die starke Gitarre (“Kapitän”) von Uwe Hassbecker, da sind folkloristische Einsprengsel (“Warum ich” – übrigens ein kleines atmosphärisches Meisterstück von Arrangement und Sängerin), aber das alles ist vor allem abwechslungs- und einfallsreich, musikalisch wie textlich. Das Album ist eben nicht aus einem Guss, sondern zeigt Vielfalt. Der Sound der 80er ist verschwunden, die Arrangements zeitloser, aber auf historischem Fundament gebaut. “Wo bist du?” (übrigens nicht von Karma) ist immer noch ein wundervolles Lied, aber jetzt hat Silly “neue Flügel angeschraubt” (Zitat aus – notabene – “Erinnert”)
[xrr rating=4/5]
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