Mit den Liebesromanen ist das ja immer so eine Sache. Gefühliger Kram ist das meistens, schlimme Heideromanzen gibt es da oder auch den Versuch der nüchternen Entfernung und Desentimentalisierung, wie das die Franzosen in letzten Jahren so manches Mal taten. Wenn nun einer der elegantesten Kolumnisten der Republik, einen Liebesroman vorlegt, was ist da zu erwarten? Immerhin ist er ein Meister der kleinen Form, seine wöchentlich erscheinenden Kurztexte im ZEIT-Magazin sind spitzzüngige Betrachtungen zu Gegenwart und Zeitgeschehen. So ist denn auch “Gefühlte Nähe” eine Geschichte der kleinen Formen.
Der Roman schildert das Liebesleben einer Frau in 23 Episoden anhand der Geschichte ihrer Liebhaber. Das scheint viele Menschen zu interessieren, die Lesung auf Kampnagel fand in der vollausgelasteten Halle K6 statt. Das könnte aber auch daran gelegen haben, dass dieser Abend nicht nur Lesung war, sondern auch Konzert. Martensteins Partnerin an diesem Abend war die fulminante Anna Depenbusch, auf die wir an dieser Stelle schon einmal ausführlich hingewiesen haben. In solchen Kombinationen wird in den begleitenden Pressemitteilungen gerne auf die “kongeniale” Partnerschaft zweier Künstler hingewiesen – in diesem Falle ist das in der Tat kein PR-Blabla, sondern Realität.
Moderiert von der mitunter etwas mädchenhaft giggelnden, aber dann doch kluge Fragen stellenden Melanie von Bismarck, gab es viel zu Lernen über die Irrungen und Wirrungen von Martensteins Heldin N., über die er, wie er im Gespräch sagte, eigentlich gar nicht geschrieben hat, sondern über ihre Männer. Da kenne er sich als Mann eben besser aus. Das überzeugt.
Und was er da schildert, ist ziemlich vielfältig, von der akribischen Schilderung der Spurenvernichtung eines seiner Helden nach einem Seitensprung, bis hin zur Trostlosigkeit eines eher irrtümlich entstandenen One-Night-Stands. Das ist immer wieder komisch, aber eben auch die Schilderung eines “Seelenmords” (Martenstein) in der Beziehungslosigkeit der jeweiligen Paarkonstellationen. Nicht umsonst heißt das Buch “Gefühlte Nähe” – es geht um Illusionen und Wünsche. Die mitunter nüchterne Erzählposition in Marteinsteins Buch, verbunden mit dem exzellenten Vortragsrhythmus des Autors tut der Sache gut, aber für die ganz große Emotion ist an diesem Abend Anna Depenbusch zuständig.
Die sitzt schmal hinter ihrem Flügel, lächelt verschmitzt in die oberen Ränge und fängt erst einmal mit der ziemliche irrlichternden Ballade “Astronaut” an. Der Typ – so es um einen geht – könnte ein Mann aus dem Roman sein, unentschieden, außerweltlich, ein Raumfahrer eben. Im Laufe des Abends gibt es sechs Songs, bis auf eine Billy-Joel-Paraphrase (“Der Mann für mich” – sic!) alle vom aktuellen Album “Die Mathematik der Anna Depenbusch”. Das passt immer wieder gut, ist eine Illustration des im gelesenen Text gehörten, und verschiebt die Perspektive auf das Erhellendste.
Dabei dreht die Person auf dem Klavierhocker mitunter kräftig auf, die Tigerpranke kommt zum Vorschein, und an scharfer Beobachtungsgabe und Sprachwitz ist sie ihrem literarischen Gegenüber keineswegs unterlegen. Dem scheint das genau so gut zu gefallen wie den 600 anderen in der Halle, immer wieder kündigt Martenstein seine Partnerin mit großer Emphase an. Sieht so aus, als hätten sich da zwei wirklich gefunden …
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