Lesetage, 8. und letzter Tag: Mehr Kultur wagen!

Der Abschluss eines solchen Fes­ti­vals ist eine große Sache. Die Mach­er sind erschöpft, die Gäste wieder auf der Rück­reise und man gön­nt sich zum Schluß etwas Beson­deres. Das Konzept der Abschlussver­anstal­tung der 2010er Lese­tage war durch Eyjaf­jal­la­jökull ein bißchen durcheinan­der ger­at­en, das als rein franzö­sis­che Affaire geplante Konz­ert mit Naïm Amor und Dominique A musste umbe­set­zt wer­den, Naïm Amor saß näm­lich in Tus­con fest und wartete bis zulet­zt auf den Nieder­gang der Asche. Spon­tan einge­sprun­gen war die schwedis­che Song­wri­terin Elin Ruth Sig­vardsson, in ihrer Heimat ein ziem­lich­er Star. Unter den zur Gitarre sin­gen­den “Mäd­chen”, die derzeit die Musik­szene über­rollen, gehört sie sicher­lich zu den besseren, ein bißchen Neo-Hip­piefeel­ing, gepaart mit guten Songs sind ein guter Open­er für so ein Pro­gramm. Und einen Bezug gab es ja doch, der Ver­anstal­ter Vat­ten­fall kommt schließlich aus Schwe­den.

Haup­tat­trak­tion dieses wahrlich inter­na­tionalen Abends war Dominique A, ein­er der Weg­bere­it­er des Nou­velle Chan­son in Frankre­ich. Bei Chan­son denkt der durch­schnit­tliche  Kul­turkon­sument an exaltierte, dunkel gek­lei­dete Her­ren und Damen, die sich die Seele aus dem Leib und dabei natür­lich von “L’Amour” sin­gen, gern zur Gitarre oder auch mit schnuck­e­li­gen kleinen Jazzbands begleit­et. Ganz groß mit Big­Band geht das auch. Frankre­ich hat da eine ruh­mvolle Geschichte, von Charles Trénet bis hin zum deutschen Piloten­bar­den Rein­hard Mey (alias Fred­erik) reicht die Liste der inter­na­tion­al erfol­gre­ichen Sänger. Als sich in den 90er Jahren junge Musik­er ihrer franzö­sis­chen Musik­tra­dion besan­nen und das Chan­son auf neue, flinke Beine stell­ten, hiel­ten sie sich dur­chaus an ihrer Tra­di­tion. Ben­jamin Bio­lay ist in vorder­ster Rei­he zu nen­nen, ja, und auch Car­la Bruni gehörte dazu. Dominique A ist sicher­lich eine der sper­rig­sten Erschei­n­un­gen in dieser Nou­velle Vague des Liedge­sangs und die Auswahl des hierzu­lande kaum bekan­nten Kün­stlers für den Abschlussabend ist ein Geschenk für dieses Fes­ti­val. Getrieben ist der 1968 geborene von unbändi­gem Gestal­tungswillen, sowohl textliche als auch musikalis­che Auseinan­der­set­zung mit seinen The­men sind inten­siv und lassen auch auf der Metaebene einiges ver­muten. Sein an diesem Abend von der Ham­burg­er Schaus­pielerin Lau­ra de Weck klug struk­turi­erend vor­ge­tra­genes Essay über seine Beziehung zur Musik ver­rät viel Beschäf­ti­gung und Auseinan­der­set­zung mit der Genese von Text und Klang. Nun kann man von einem nord­deutschen Pub­likum kaum franko­phone Nei­gung erwarten, vier exem­plar­isch vor­ge­tra­gene Texte (alle eigens für den Abend über­set­zt) aus dem Pro­gramm wiesen dann den Weg in die poet­is­che Aus­druck­swelt des Dominique A.:

Immor­tels
Ich habe dir nie gesagt
Daß wir unsterblich sind
Warum gehst du
Bevor ich’s dir ver­rat?
Hast du es schon gewusst?
Und hast du schon geah­nt
Daß hin­ter unsren Säufer­fratzen
Göt­ter sich ver­ber­gen?

Das hat nichts mit lálá zu tun, son­dern zeigt das Fortleben des franzö­sis­chen Pathos in der gesun­genen Musik. Klingt das auf dem aktuellen Album La musique noch nach Pop, ist der Livekün­stler Dominique A. weitaus ver­stören­der. Bewußt hat er sich für ein Solos­et entsch­ieden, es genügt ihm die Gitarre. Wer nun glaubt, daß da ein­er vor sich hin klampft, um schön zu sin­gen, ist damit auf dem kom­plett falschen Dampfer. Eine Bat­terie von Effek­t­geräten umrankt den Musik­er, Kaskaden von Loops und Sam­ples schaf­fen großflächige Soundtep­piche, über denen die Gitarre die Qualen der Geschicht­en, die Dominique A. erzählen will, illus­tri­eren. Das ist wohlüber­legt, konzip­iert, bis hin zur Brüskierung eines Pub­likums, daß seine Ohren nicht durch den Wohlk­lang weich machen soll. Er sehnt sich nach Brüchen, nach Rei­bung, und das ist eine Her­aus­forderung zu bei­der­seit­igem Gewinn. Seine Stimme ist kon­ser­v­a­tiv, warm und ein­schme­ichel­nd, wie er selb­st sagt, “eine klas­sis­che Chan­son­stimme”. Musikalisch ist Dominique A. aber sicher­lich näher an den Exper­i­men­tal-Pop­pern Daft Punk als an Jacques Brel. Daß dabei der mit­ge­brachte franzö­sis­che Ton­tech­niker weit übers Ziel hin­auss­chießt und den lustvollen Schmerz der Auseinan­der­set­zung gele­gentlich in Schmerzhaftigkeit kip­pen lässt, darüber muss man hin­wegse­hen.

Dieses lit­er­arische Konz­ert weist in die richtige Rich­tung. Tex­tu­al­ität und Ver­mit­tlung waren ja im Vor­feld des Fes­ti­vals anscheinend ein The­ma, hier erschliesst sich in der inter­diszi­plinären Auseinan­der­set­zung eine andere Form der poet­is­chen Ver­mit­tlung. Kein Effekt, kein Mul­ti­me­dia, son­dern der Ein­blick in die ganzheitliche Beschäf­ti­gung eines Kün­stlers mit seinen The­men, eine Poet­ik der Ver­let­zung, die die big­otte Kul­tiviertheit der Hochkul­tur, die vielerorts vorherrscht, bricht. Daß das nicht allen gefällt, ist klar. Kul­tur muss etwas wagen. Mehr davon!

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*