Ich sitze im blühenden Sommergarten mit Freunden am Abend eines wirklich schönen Sommertags. Langsam senkt sich die Nacht hernieder. Die Nocturna-Blume, die mir der Freund eben gezeigt hat, entfaltet ihre gelben Blüten, die im Dunkel zu leuchten beginnen. Sterne sind noch nicht zu sehen, zu groß ist die urbane Lichtverschmutzung. Dafür die Positionslichter von landenden und startenden Flugzeugen. Wir reden von alten Zeiten, trinken, dann schweigen wir lange.
Die schöne Sommernacht macht uns ergriffen stumm. Auf einmal hören wir die Detonationen eines Feuerwerks von der Elbe her, das Dröhnen von Schiffssirenen. Ach ja, Hamburg feiert die sogenannten Cruise Days, ein Event, der jedes Jahr zehntausende von Zuschauern anzieht. Fünf große Kreuzfahrtschiffe haben im Hafen festgemacht und werden jetzt am Abend , begleitet von vielen kleinen Booten, elbabwärts die Hansestadt Richtung Nordsee verlassen. Ich wollte ohnehin aufbrechen, schwinge mich auf mein Rad und fahre zur Elbe. In Ottensen, ungefähr dort, wo das Gartenhaus von Salomon Heine steht (“Haus Affrontenburg” nannte es sein dichtender Neffe) reihe ich mich unter die Zuschauer ein, die von der Höhe des Elbhangs die “Auslaufparade” beobachten.
Die Hafenanlagen, Kräne, Docks, Lagerhäuser und Brücken sind von einem sogenannten Lichtkünstler blau illuminiert worden. Zusammen mit den unzähligen Lampen, die den Hafen, in dem auch nachts gearbeitet wird, taghell machen, schon eine beeindruckende “Lichtshow”. Und auch die Schiffsflotille, die jetzt an uns vorbeizieht, ist immer wieder hier und dort blau erleuchtet. Die fünf großen Dampfer, die mit tausenden von Passagieren und Besatzung an Bord sich auf Kreuzfahrt begeben, ans Nordkap, in die Ostsee, ins Mittelmeer oder über den Atlantik bis in die Karibik und weiter, werden von vielen kleinen Schiffen begleitet – Motorbooten, Barkassen, Segelschiffen, Ausflugsdampfern, die um die Ozeanriesen herumwieseln. Die Passagiere stehen an der Reling und winken. Und neben mir höre ich einen der Zuschauer zu seiner Frau sagen: “Wäre das schön, jetzt auf einem dieser Schiffe in so einer Nacht mitreisen zu können.”
Es erinnert mich an eine Zeile aus einem Eichendorff-Gedicht, das aber eine ganz andere Szenerie aufruft. Das dichtende Ich steht einsam am Fenster und hört aus weiter Ferne “ein Posthorn stillen Land”. Da “entbrennt ihm das Herz im Leibe” und es denkt heimlich: “Ach, wer da mitreisen könnte in der prächtigen Sommernacht.”
Hier der Trubel des Events, tausende von Zuschauern, verstopfte Wege, der Lärm der Stadt mit ihren vielen Autos, denn viele sind mit ihrem Wagen an die Elbe gefahren, dort die Einsamkeit. Aber in beidem die Sehnsucht.
Bei Eichendorff heißt es weiter:
“Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen,
Die stille Gegend entlang:
[…]
Sie sangen von Marmorbildern
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.”
Es ist nicht nur Italien, es ist die Transzendenz der Sehnsucht selbst, die dies Gedicht in Worte fasst mit dem Bild der “prächtigen Sommernacht”. Das Adjektiv verweist auf den bestirnten Himmel, der wie ein prächtig bestickter Mantel leuchtet, sozusagen der Vorhang vor dem ungeheuren Weltall. Den wir in der Stadt aber nicht mehr sehen können. Je mehr wir illuminieren, umso weniger sehen wir noch “die Lichter, die Gott an den Himmel gesetzt.” Sie sollen in ihrer Pracht an unsere Bestimmung, an unsere Grenzen erinnern. Ich sehne mich zurück aus dem Licht-Trubel um mich herum in den stillen Garten, in dem jetzt nur noch die Nachtblumen leuchten.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar