Bene-Diktum: Der Kopfarbeiter

Der Kaffee – ein protestantisches Getränk? Vom Ernüchterer zum Genussmittel für alle.

(Bild: © Tamara Kulikova - Fotolia.com)
Guten Mor­gen, Bier­suppe! (Bild: © Tama­ra Kuliko­va — Fotolia.com)

angeregt durch
Wolf­gang Schivel­busch,
den Less­ing-Preisträger 2014

C-a-f-f-e‑e , trink nicht so viel Caf­fee, nicht für Kinder ist der Türken­trank, schwächt die Ner­ven, macht dich blass und krank. Sei doch kein Musel­mann, der es nicht lassen kann”.

Dieser gern gesun­gene Kanon zeugt von ein­er Zeit, als das Kaf­feetrinken noch umstrit­ten war. Er sei ein Getränk der Moslems, außer­dem unge­sund und nichts für Kinder. Ihn zu sin­gen macht Spaß, ger­ade weil wir uns nicht dran hal­ten. Eine “gute” Tasse Kaf­fee am Mor­gen oder sog­ar schon einen Cap­puc­ci­no, zusam­men mit einem frischen Crois­sant vom Bäck­er, das ist heute für viele Stan­dard mor­gendlichen Früh­stück­ens.

Nichts liegt heutzu­tage fern­er als die War­nung vor dem Kaf­fee, wie sie in Bachs heit­er­er Kaf­feekan­tate der Herr Schlen­dri­an gegenüber sein­er Tochter Lies­gen ausspricht. Bach kom­ponierte diese Kan­tate im Jahr 1729: “Du bös­es Kind, du los­es Mäd­chen. Ach, wenn erlang ich meinen Zweck. Tu mir den Cof­fee weg.”

Der Vater dro­ht, ihr keinen Mann zu geben, wenn sie nicht mit dem Kaf­feetrinken aufhört. Lies­gen stimmt zu, lässt aber heim­lich ver­bre­it­en, sie nehme nur einen Mann, der ihr erlaube, “den Cof­fee, wenn ich will zu kochen.” Uraufge­führt wurde die Kan­tate übri­gens in einem von Leipzigs schö­nen Kaf­fee­häusern.

Seit wann wird so selb­stver­ständlich Kaf­fee getrunk­en? Um 1650 war der Kaf­fee in Europa noch weit­ge­hend unbekan­nt,  er tauchte in Ori­ent-Reise­bericht­en als Exotikum auf. Doch um 1700 ist er bere­its ein fest etabliertes Getränk. Und das hat erstaunlicher­weise  mit dem Weber­schen “Geist des Protes­tantismus” zu tun, mit der geän­derten Ein­stel­lung zur Arbeit, wie sie durch den Protes­tantismus her­vorgerufen wurde.

Denn das Bürg­er­tum des aus­ge­hen­den 17. Jahrhun­derts begrüßt den Kaf­fee als den großen Ernüchter­er. Die Ver­nun­ft und die Geschäft­stüchtigkeit des Kaf­feetrinkers wer­den dem Rausch, der Unfähigkeit und Faul­heit des Alko­holtrinkers gegenübergestellt.

“Es ist erwiesen,” heißt es bei dem englis­chen Puri­tan­er John How­ell, “dass der Kaf­fee die Völk­er nüchtern macht. Während Handw­erk­er und Kauf­manns­ge­hil­fen früher Ale, Bier und Wein als Mor­gen­trunk genossen, sich dadurch einen dumpfen Kopf holten und zu ern­sthaften Geschäften unfähig wur­den, haben sie sich jet­zt an diesen wach hal­tenden bürg­er­lichen Trunk gewöh­nt.”

Dazu muss man sich verge­gen­wär­ti­gen, dass im Mit­te­lal­ter  und darüber hin­aus bis ins 17. Jahrhun­dert Bier neben Brot das Haupt­nahrungsmit­tel der bre­it­en Bevölkerung Mit­tel-und Nordeu­ropas war.

Das Früh­stück bestand in der Regel aus ein­er Bier­suppe. Bier war Nahrungsmit­tel für die gesamte Fam­i­lie, Kinder eingeschlossen. Saufge­lage waren an der Tage­sor­d­nung. Kri­tik an ihnen kommt im 16. Jahrhun­dert vor allem im Gefolge der Ref­or­ma­tion auf.

Indem sie das Ver­hält­nis zwis­chen Gott und Men­sch neu, als ein per­sön­lich­es, bes­timmt, regelt sie auch das weltliche Ver­hal­ten neu – wie beim Beruf, so auch beim Alko­hol.

Bei Luther ist die Hal­tung allerd­ings noch nicht kon­se­quent rigide, er wusste das Leben und seine Genüsse, gutes Essen, die Sex­u­al­ität und auch das Bier zu schätzen. So kon­nte er zwar gegen die Sauf­teufel wet­tern, aber das von sein­er Frau Käthe zu Hause gebraute Bier trank er gern und regelmäßig.

Die gesellschaftlichen und ökonomis­chen Voraus­set­zun­gen für die Abschaf­fung der “Saufer­ei” waren noch nicht geschaf­fen. Das geschah erst Ende des 17. Jahrhun­derts  in Eng­land. Der englis­che Puri­tanis­mus schreibt die Nüchtern­heit auf seine Fah­nen.

Er sieht in dem Kaf­fee das ide­ale Getränk, um dieses Ziel durchzuset­zen. Die in alko­holis­ch­er Benebelung dahindäm­mernde Men­schheit soll mith­il­fe des Kaf­fees zu bürg­er­lich­er Ver­nun­ft und Geschäftigkeit geleit­et wer­den.

“Die Fähigkeit des Kaf­fees, die Ver­standestätigkeit zu beleben und die Aufmerk­samkeit zu erhöhen, machen ihn zu dem Getränk der Neuzeit. (…) Er ist ein Kop­far­beit­er.

Der Kaf­fee infil­tri­ert den Kör­p­er und vol­lzieht chemisch-phar­makol­o­gisch, was Ratio­nal­is­mus und protes­tantis­che Ethik ide­ol­o­gisch-geistig bewirken“, schreibt der His­torik­er Wolf­gang Schivel­busch in sein­er Geschichte der Genußmit­tel.

Auch in Kon­ti­nen­tal-Europa wird der Kaf­fee zunächst öffentlich getrunk­en. Das erste Kaf­fee­haus wird in Bre­men 1637 eröffnet, in der Nachah­mung des englis­chen Vor­bilds eignet man sich ein wenig von dessen Weltläu­figkeit an.

Der häus­liche Früh­stück­skaf­fee, vor allem das nach­mit­tägliche Kaf­feetrinken entste­ht erst später. Der hero­is­chen Phase der Inno­va­tion fol­gt die kon­formistis­che Phase der Pri­vatisierung, denn häus­lich ste­ht der Kaf­fee für Gemütlichkeit.

Allerd­ings sind beim Früh­stück­skaf­fee noch Spuren des Hero­is­chen zu bemerken – er markiert den  Beginn des Arbeit­stages, man erin­nere sich an Nüchtern­heit und Wach­heit für die Auf­gaben des Tags, die der protes­tantis­che Geist forderte und im Kaf­feetrinken real­isiert sah.

Noch eine Bemerkung zum Kaf­feekränzchen. Dies ist eine Angele­gen­heit der Frauen, oft karikiert und verspot­tet und schon früh in der Lit­er­atur zu Ehren gelangt. Der Schluss­chor von Bachs Kaf­feekan­tate lautet: “Die Katze lässt das Mausen nicht; Die Jungfern bleiben Kof­feeschwest­ern. Die Mut­ter liebt den Cof­fee­brauch. Die Groß­ma­ma trank solchen auch. Wer will nun die Töchter lästern.”

Kaf­feeklatsch wird zur Par­o­die des  ern­sten Män­nerge­sprächs im Kaf­fee­haus. Das Kaf­feekränzchen ist eine Art Gegen-Kaf­fee­haus. In der Öffentlichkeit nicht zuge­lassen ent­fal­ten die Frauen hier  ihr eigenes Wesen. Später wan­dert es ins Café und Kon­di­tor­ei aus – “Aber bitte mit Sahne” karikierte Udo Jür­gens noch 1976 diese Hal­tung.

Als Pas­tor habe ich 1980 das Kaf­feetrinken der großen Frauen­hil­fe in Reck­ling­hausen, es kamen 100 Frauen zusam­men, mit Gebet und Andacht eröffnet. Der Gott wohlge­fäl­lige Opfer­geruch der evan­ge­lis­chen Frauen war gemis­cht aus Ehre­namtlichkeit, Liedern und Kaf­fee­duft, der ein­mal die Woche durch das Gemein­de­haus zog.

Jed­er Altennach­mit­tag in Ham­burg­er Neubau­vier­tel Steil­shoop, wo ich danach als Pas­tor wirk­te, war um das Kaf­feetrinken zen­tri­ert. So sehr ich mich bemühte, Demokratisch-Öffentlich­es an die älteren Frauen zu brin­gen, von der Entwick­lungspoli­tik über die Gefahren der Atom­en­ergie bis zur Friedens­be­we­gung – sie ertru­gen es gle­ich­mütig, weil die meis­ten vor allem auf Kaf­fee und Kuchen ihre Hoff­nung set­zten und nicht auf Chris­tus den Befreier.

War der Kaf­fee in Ord­nung, war alles zum Besten bestellt, aber wehe, er war zu dünn. Das ist mal wieder Blüm­chenkaf­fee, hieß es dann. Und, man stelle sich ein­mal vor, ich hätte die weni­gen männlichen Senioren an diesen Nach­mit­ta­gen mit Bier ver­sorgt. Wäre es denkbar, dass die geringe Teil­nahme der Män­ner am kirch­lichen Gemein­deleben auch auf die puri­tanis­che Ver­pö­nung des Bier­trinkens zurück­zuführen ist?!

Der Kirchenkaf­fee ist die Verbindung von from­mer Gemütlichkeit und protes­tantis­ch­er Nüchtern­heit. Lei­der gibt es bis­lang kein Lied im Gesang­buch, dass diese schöne eben­so evan­ge­lis­che wie kom­mu­nika­tiv-weib­liche Fröm­migkeits­form in Worte fasst.

Der Kaf­fee ist also ein vom Protes­tantismus begün­stigtes Getränk gewe­sen, er war im öffentlichen Kaf­fee­haus eine Ein­rich­tung demokratisch-sozialer Kom­mu­nika­tion. In der Stu­den­ten­be­we­gung, zu Zeit­en der APO wurde diese Funk­tion ein wenig wieder­erweckt in den soge­nan­nten Repub­likanis­chen Clubs, dann auch in der sozialen Szene der 80 und 90er Jahre.

In Sozialar­beit­er­büros, die gemein­we­senori­en­tierte Konzepte umset­zten, wird, so ein Vorurteil, ständig Kaf­fee getrunk­en. Beschäf­ti­gung­spro­jek­te errichteten als erstes eine Cafe­te­ria, in der ger­ing Qual­i­fizierte beschäftigt wur­den und die Armen des Stadt­teils gün­stig essen und Kaf­fee trinken kon­nten.

Durch die Ein­rich­tung von Kirchen­cafés in den Cities der großen Städte seit 15 Jahren ist der Kaf­fee gewis­ser­maßen an diesen protes­tantisch-demokratis­chen Ursprung zurück­gekehrt.

Kirchen­café ist etwas anderes als Kaf­fee nach der Kirche – das war gesel­liges Beisam­men­sein zum Predigt­nachge­spräch und zum Aus­tausch, aber auch Refugium für die Ein­samen und Belasteten, die nicht so schnell in ihre unbe­hauste Woh­nung zurück­woll­ten.

Die Kirchen­cafes in den Cities sind Tre­ff­punk­te der Ver­schiede­nen, Kom­mu­nika­tion­sorte im Schnittpunkt divergieren­der Lebenswel­ten der Innen­städte.

Keine sakrale Schwelle hin­dert trotz der Kirchen­nähe am Ein­tritt, der Cap­puc­ci­no ist genau­so gut wie bei Star­bucks und kostet weniger. Und: Hier tre­f­fen sich schon mal Oben und Unten, die Geschäft­sleute und Medi­en­man­ag­er auf der einen, die Armen und Aus­geschlosse­nen auf der anderen Seite.

Hier wird auch Seel­sorge getrieben, gibt es Dichter­lesun­gen, Gespräche und Kon­tak­te. Der Pas­tor schaut vor­bei und auch die Bis­chöfin ist hier schon gese­hen wor­den. Und Woh­nungslose, die in der Stadt bet­teln. Der Kaf­fee als protes­tantis­ch­er Gle­ich­mach­er und als Anreger, als Gespräch­seröffn­er und Genuss­mit­tel.

Auch Chris­ten kön­nen endlich ohne Schuldge­füh­le den Luxus, der sich in einem Lat­te mac­chi­a­to man­i­festiert, genießen. Es wird  Kaf­fee, der nach Gerechtigkeit schmeckt getrunk­en, sagt der Leit­er des Kirchen­cafes – gemeint ist “fair” gehan­del­ter Kaf­fee. 

Deswe­gen zum Schluss der von mir verän­derte Kanon: “C‑a-f-f-e‑e,  trink doch recht gern Kaf­fee. Auch für Chris­ten ist der Bohnen­trank, stärkt die Ner­ven, macht die Augen blank. Sei doch ein guter Christ, dem Kaf­fee lieblich ist.”

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