Bene-Diktum: Die sakrale Wirkung der Gewalt

Anmerkungen anläßlich eines Vortrags von Jan Philip Reemtsma

Im Ham­burg­er Insti­tut für Sozial­forschung hielt Jan Philip Reemts­ma am 1. Juli vor einem vollbe­set­zten und ges­pan­nten Audi­to­ri­um einen Vor­trag über Gewalt als Form sozialer Ord­nung, im beson­deren als brachial-soziale Gestal­tung.

In der aus sein­er umfan­gre­ichen Mono­gra­phie Ver­trauen und Gewalt bekan­nten Weise, sich dem Prob­lem phänom­e­nol­o­gisch zu näh­ern, machte Reemts­ma einige inter­es­sante Beobach­tun­gen über Gewal­tan­wen­dung durch Grup­pen, die an die Macht kom­men wollen. “Man muss das Telegraphenamt beset­zen”, so Lenin, das gelang der Ver­schwör­ergruppe vom 20. Juli 1944 nicht, sie scheit­erte in ihrem Putsch gegen Hitler,so Reemts­ma, an ihrer Kom­mu­nika­tion­ss­chwäche.

Ob die Beset­zung des Spiegel­büros durch die Ham­burg­er Polizei im Jahr 62 auf Ver­an­las­sung des Vertei­di­gungsmin­is­ters Strauß dem zu ver­gle­ichen ist, sei dahingestellt. Wichtig aber Reemts­mas Hin­weis, dass den Umsturz betreibende Grup­pen Gebor­gen­heit­sräume anbi­eten, sozusagen Sol­i­dar­ität (mit einem Hel­mut Schmidt-Zitat, Sol­i­dar­ität lerne man im Schützen­graben) und Fam­i­lien­bande (wie die Mafia, immer wieder ver­wies Reemts­ma auf den “Pat­en”) aktivieren.

Auch das selb­st­be­wusst-freche Auftreten der SA im Jahre 1933, ein Ver­hal­ten als hät­ten sie bere­its die Macht, war eine schmer­zliche Erin­nerung, denn ein gle­ich­es selb­st­be­wußtes Auftreten der legit­i­men Staat­sor­gane hätte vielle­icht die dann ein­set­zende Eroberung der Macht durch die braunen Hor­den ver­hin­dern kön­nen. “Wie macht man die eigene Machtver­fas­sung zu der des Staates?” oder “Wie gewin­nt man die Hoheit über die Deck­stüh­le?”, das sei die Frage.

Glück gehöre dazu und vor allem Verzicht auf Zurück­hal­tung. So gewin­nt man die Macht weniger über das Wohl als über das Wehe ander­er. Schließlich der rev­o­lu­tionäre Vor­griff aufs Ganze durch Kör­perz­er­störung und die Demon­stra­tion, es gebe Größeres als den Tod.

Reemts­ma ver­wies auf den Imi­ta­tion­san­reiz von Ter­ro­ran­schlä­gen und schloß mit Wal­ter Ben­jamins ange­blich­er auf Blan­qui bezo­genen­er mes­sian­is­ch­er Still­stel­lung des Geschehens durch totale Gewalt. Der Kor­ref­er­ent, der Sozi­ologe Wolf­gang Knöbl aus Göt­tin­gen, beze­ich­nete Reemts­mas Aus­führun­gen als solche, die weniger auf die Ursachen von Gewalt als auf die Gewalt sel­ber schauen.

Die Gefahr dabei sei ein gewiss­er Pos­i­tivis­mus der Daten­samm­lung bis hin zu ein­er Pornogra­phie der Gewalt. Er schlug vor, stärk­er zu den his­torisch-sozialen Kon­tex­ten von Gewalt zurück­zuge­hen und zu fra­gen, was ist his­torisch ein­ma­lig, was uni­versell und anthro­pol­o­gisch kon­stant an Gewal­tord­nun­gen.

Ich hat­te lei­der nicht mehr die Gele­gen­heit zu fra­gen, wie denn Reemts­ma und Knöbl die Gewaltschübe in der bun­desre­pub­likanis­chen Gesellschaft inter­pretierten. Also die Morde und Anschläge der RAF gegen Wirtschafts‑, Militär‑, Jus­tiz- und Staat­srepräsen­tan­ten in den 70er Jahren, die Bran­dan­schläge gegen türkische Mit­bürg­er in den 90er Jahren (Mölln, Solin­gen), die kon­stant rechte Gewalt gegen Aus­län­der, Obdachlose und Behin­derte seit der Wiedervere­ini­gung (eine Sta­tis­tik der FR spricht von fast 200 Toten) und der Ter­ror der NSU-Zelle gegen kleine Gewer­be­treibende mit Migra­tionsh­in­ter­grund mit 10 Mor­den.

Nach der These des Kul­tur­an­thro­polo­gen und Reli­gion­swis­senschaftler René Girard entste­ht die sich auf bes­timmte Sün­den­bock­grup­pen ent­ladende Gewalt vor allem durch einen “mimetis­chen Gewaltzirkel”. Gewalt nimmt zu durch Nachah­mung, die gesellschaftliche Wider­sprüche ver­schär­fen sich und ent­laden sich schließlich auf einen Sün­den­bock, der stel­lvertre­tend zum Opfer gemacht wird. In tra­di­tionellen Gesellschaften will Reli­gion den Rück­fall in die gegen­seit­ige Gewalt ver­hin­dern, indem sie das Opfer jen­seits des Kreis­laufs von Gewalt und Gegenge­walt ansiedelt.

Dies geschieht durch seine Sakral­isierung. Sakral­isierung des Opfers meint, dass der Opfer­vor­gang für die Täter den Charak­ter ein­er zufäl­li­gen Tötung ver­liert, vielmehr durch das Heilige, die Got­theit bes­timmt wird und so von dem Opfer eine sakri­fizielle, ban­nende Wirkung aus­ge­ht, die das Mor­den für eine gewisse Zeit unterbinden kann.

Allerd­ings wird so der von Girard benan­nte mimetis­che Gewaltzirkel nur zeitweilig unter­brochen. Auch in mod­er­nen, religiös neu­tralen Gesellschaften ist dieser Unter­brechungsef­fekt der Gewalt­tat noch zu beobacht­en.

Nach den Bran­dan­schlä­gen von Mölln und Solin­gen kam es zu den massen­haften Lichter­ket­ten — die Gesellschaft ging gewis­ser­maßen in sich, indem sie durch die an dem Schick­sal der Opfer Anteil nehmenden Lichter­ket­ten zu erken­nen gab: auch wenn wir ähn­liche Vorurteile wie die Täter gehabt haben soll­ten, wir dis­tanzieren uns in einem Akt der Buße von dem Gewal­takt des Bran­dan­schlags.

Ähn­lich war die verzögerte Reak­tion von Regierung und Öffentlichkeit nach dem Bekan­ntwer­den der Tat­sache, dass die NSU-Ter­rorzelle von Böhn­hardt, Tzschäpe und Mund­los für die Ermor­dun­gen ver­ant­wortlich war.

Jahre­lang waren Bun­des-und Lan­deskrim­i­nalämter, Ver­fas­sungss­chutz, Polizei und Teile der Öffentlichkeit davon aus­ge­gan­gen, dass die Täter in den Fam­i­lien und angenomme­nen mafiösen Struk­turen der Migra­tionsszene zu suchen seien.

In ein­er Gedenkver­anstal­tung im Berlin­er Konz­erthaus entschuldigte sich die Bun­deskan­z­lerin 2012 für dies vorurteil­shafte Ver­hal­ten, durften die Ange­höri­gen der Opfer ihren Schmerz und ihre Trauer aus­drück­en. Auch dies ist ein Bußakt, der durch die Sakral­isierung der Opfer bes­timmt wird.

Bei den Ter­ror-und Mor­dak­tio­nen der RAF hat­ten wir es mit ein­er ges­pal­te­nen Sakral­isierung zu tun. Es gab eine mei­n­ungsstarke linke Szene, die jahre­lang den die RAF bekämpfend­en Staat für die Eskala­tion ver­ant­wortlich machte und die RAF-Täter zu Opfern staatlich­er Ver­nich­tungslogik machte (soge­nan­nte Stammheim-Morde), was bis zum Ende der 70er Jahre zur immer neuen Rekru­tierung von RAF-Ange­höri­gen führte.

Erst mit Hein­rich Brelo­ers Fernse­hfilm “Das Todesspiel” von 1997 begann eine inten­sive Auseinan­der­set­zung mit dem Deutschen Herb­st von 1977, die vor allem die Opfer der dama­li­gen Ter­ro­rak­tio­nen zu Wort kom­men ließ und auch den die Ermor­dung Schley­ers in Kauf nehmenden Staat kri­tisch befragte.

Diese Gewaltschübe, die im Abstand von 10–15 Jahren die Bun­desre­pub­lik “heim­sucht­en”, waren keine Ver­suche, cäsarische Macht umsturzar­tig zu etablieren, um noch ein­mal auf Reemts­ma zurück­zukom­men, zu schweigen davon, dass sie als eine Form sozialer Ord­nung in Erschei­n­ung trat­en.

Sie waren aber brachial-soziale Gewal­tak­te, die in einem anson­sten funk­tion­ieren­den staatlichen Gewalt­monopol möglich waren und die zumin­d­est auf der Vorurteils-und Mei­n­ungsebene von Teilen der Bevölkerung ins­ge­heim mit­ge­tra­gen wur­den.

Die jew­eils darauf fol­gen­den Bußak­te – Brelo­ers Film, die Lichter­ket­ten, die Berlin­er Gedenkver­anstal­tung – zeigten, dass von der aus­geübten Gewalt nach wie vor eine zeitweilig ban­nende, sprich sakrale, Wirkung aus­ge­ht. Diese wäre genauer zu erforschen.

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