Die dunkle Melodie

Christian Krachts Roman »Imperium« erschreckt das deutsche Mittelmaß

Der Schre­cken lau­ert im Dif­fu­sen (Bild: HHF, unter Ver­wen­dung des Umschlag­mo­tivs von »Impe­ri­um«)

Eine klei­ne Buch­hand­lung in einem durch und durch bür­ger­li­chen Stadt­teil Ham­burgs. Es ist Sams­tag­vor­mit­tag, die bereits eta­blier­ten Anfangs­drei­ßi­ger has­ten neben­an durch die Rei­hen des Super­mark­tes, um für das Fami­li­en­wo­chen­en­de reich­hal­tig aus­ge­stat­tet zu sein. In der Buch­hand­lung ist es voll, am Pre­sen­ter-Tisch lie­gen die Sta­pel mit den Neu­erschei­nun­gen aus. Ein Paar, gut geklei­det, viel­leicht Ende drei­ßig, sucht offen­bar ein Geschenk­buch, die Frau greift nach einem Buch mit etwas comic­haf­ten Titel­bild. Ihr männ­li­cher Beglei­ter sagt zu ihr: »Das kannst du nicht kau­fen, das ist ein Nazi.«

»Her­berts­hö­he.
Haupt­stadt der Kolo­nie, vier­hun­dert Deut­sche leb­ten hier, aber am Pier kau­er­ten fast nur Chi­ne­sen, Malai­en, Mela­ne­si­er. (…) Er schloß kurz die Augen und war im deut­schen Herbst, ein fürch­ter­li­ches Gefühl, der Win­ter droh­te, die Tage wur­den kür­zer, am Ende lau­er­ten Käl­te und Tod. Panisch riß er die Lider auf. Alles war fremd, licht und gut.«

Der Held der Geschich­te kommt an in Deutsch-Neu­gui­nea, irgend­wann vor dem ers­ten gro­ßen Krieg, will eine Kolo­nie der Koko­vo­ren, der Koko­ses­ser grün­den. Er ist eine merk­wür­di­ge Gestalt:

»Die­ses son­nen­ver­brann­te Gesicht, die schul­ter­lan­gen Haa­re, ein­ge­hüllt in ein Woll­kleid, ein Spin­ner, aber nicht unsym­pa­thisch, aber doch fremd, wie er hier am Tisch saß und sei­ne Bücher wollte.«

Es ist eine fer­ne, selt­sa­me Geschich­te, die der Autor da erzählt, von August Engel­hardt, ein deut­scher Aus­stei­ger am Beginn des 20. Jahr­hun­derts, der sein Glück in der Süd­see ver­sucht. Neu­pom­mern, Blan­che­bucht und Her­berts­hö­he, das waren die Namen damals – und obwohl das alles erfun­den wirkt: Es ist mehr oder weni­ger wahr, die Namen gab es wirk­lich, und auch August Engel­hardt gab es wirk­lich. Was will der Autor mit die­ser kru­den Geschich­te erzählen? (…)

Irgend­wann schleicht sich hier ein ande­rer Ton in die Geschich­te, eine unan­ge­neh­me, dunk­le Melodie.

»»Genau«, sag­te Ulrich, brauch­te aller­dings lan­ge dafür, er war zu auf­ge­regt, ver­damm­tes Stot­tern, »durch das Nackt­ge­hen wird die kör­per­li­che Ertüch­ti­gung und die sitt­li­che Ent­ar­tung des Vol­kes ver­hin­dert. Statt des­sen för­dert es die Her­an­zie­hung eins gesün­de­ren, schö­ne­ren und edle­ren Men­schen­ge­schlech­tes. Das genau ist für uns der Sonnenorden.««

Eine Spal­te öff­net sich in die­sem Satz. Unter der Ober­flä­che raunt es: »Die Her­an­zie­hung eines edle­ren Men­schen­ge­schlechts«? Durch den schö­nen Wel­len­schlag der Wor­te scheint etwas durch, das noch nicht zu fas­sen ist …

Das Buch, das ver­schenkt wer­den soll­te, ist Chris­ti­an Krachts Roman »Impe­ri­um« und der war­nen­de Beglei­ter hat­te mit Sicher­heit Georg Die­zens Arti­kel »Die Metho­de Kracht« im SPIEGEL gele­sen. Aus die­sem Arti­kel stam­men die obi­gen, kur­siv gesetz­ten Ein­zü­ge bei­na­he wort­wört­lich. Allein, die Ori­gi­nal­zi­ta­te stam­men nicht etwa aus dem vom Kri­ti­ker ver­nich­te­ten Buch, son­dern aus einem ande­ren Roman. Schon im Früh­jahr 2011 erschien bei Eich­born »Das Para­dies des August Engel­hardt«, geschrie­ben hat es der all­seits renom­mier­te Frei­bur­ger Autor Marc Buhl.

Der nun ist mit­nich­ten »ein Tür­ste­her der rech­ten Gedan­ken«, wie da im SPIEGEL stand, son­dern hat in den letz­ten Jah­ren mit gut geschrie­be­nen Roma­nen zu his­to­ri­schen The­men auf sich auf­merk­sam gemacht. Er ist einer der Stil­len im deut­schen Lite­ra­tur­be­trieb und gewiß jeg­li­cher rech­ten Par­tei­nah­me unverdächtig.

Der Stoff aller­dings scheint im höchs­ten Maße ver­däch­tig zu sein – ein paar jun­ge Leu­te, die in Zei­ten des poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Still­stands nach neu­en Ideen suchen, hat hier offen­bar nicht nur die Zeit­ge­nos­sen aus dem Wohl­sein des bür­ger­li­chen Daseins geris­sen. Es ist das klas­si­sche Dilem­ma einer Ent­wick­lungs-Debat­te, einer »Que­rel­le des Anci­ens et des Moder­nes« zwi­schen Vätern und Söh­nen, der Drang nach Aus­druck und Neu­erfin­dung, die der Held der bei­den Roman­ciers aus­lebt und es ist das Gefühl des Still­stands, das bei­der Held August Engel­hardt antreibt. Und wie immer ist es die Angst vor dem Neu­en, dem Ande­ren, daß die Gesell­schaft davor erschau­dern läßt.

Die eigent­li­che Fra­ge­stel­lung in der Debat­te, die dem von die­ser Bespre­chung aus­ge­wie­se­nen Gene­ral­ver­dacht gegen den Autor Kracht folg­te, ist jedoch nicht die nach der Inte­gri­tät des Autors. All die gesam­mel­ten Vor­wür­fe, die The­men­wahl, die ver­däch­ti­gen­den Kor­re­spon­den­zen, das nun­mehr in Zwei­fel zu zie­hen­de Vor­werk erschei­nen nich­tig, sucht man nach den Moti­ven des Gebrauchs der stärks­ten Waf­fe, die es in die­sem Land seit über 60 Jah­ren in der Kri­tik geben kann.

Die­ser Vor­wurf, ein­mal über einen Autor aus­ge­spro­chen, wirkt unend­lich schwer. Das bür­ger­li­che Paar, das den Autor nicht gele­sen hat, weil es das Urteil über ihn bereits kann­te, ist nur ein Anfang. Chris­ti­an Kracht hat Lesun­gen abge­sagt ob die­ses Makels und man kann sich an den Fin­gern einer Hand abzäh­len, daß er bei den für Autoren so wich­ti­gen Preis- und Sti­pen­di­en­ver­ga­ben lan­ge über­gan­gen wer­den wird.

Kon­ser­va­ti­vis­mus, das liegt schon in der Wort­be­deu­tung, will bewah­ren. Alles, was den Ver­lust eines erreich­ten Sta­tus bedroht, macht dem Kon­ser­va­ti­ven Angst. Sein Hang zum Ver­gan­ge­nen ist stark, Neu­es wird oft als Bedro­hung emp­fun­den. Lag die­ser Hang in der Gesell­schafts­mei­nung bis­lang in der Hand älte­rer Herr­schaf­ten, deren Drang zu Novi­tä­ten und Ver­än­de­rung bereits erschöpft war, hat sich in Deutsch­land in den letz­ten Jah­ren das Bild verändert.

Eine Gene­ra­ti­on von sat­ten Nach­kom­men, die Gene­ra­ti­on der aus den Auf­bau­jah­ren der Repu­blik Her­aus­ge­wach­se­nen sitzt mitt­ler­wei­le an den Schalt­stel­len von Medi­en und Poli­tik. Es haf­tet ihnen eine selt­sa­me Läh­mung an, der ver­klä­ren­de Blick zurück ist á la mode und ver­erbt sich bereits in die nächs­te Gene­ra­ti­on. Die Welt wird zuneh­mend als Bedro­hung emp­fun­den, die Gefahr, das Erbe der Väter zu ver­lie­ren, ist all­ge­gen­wär­tig. Der Schre­cken der Ver­än­de­rung lau­ert über­all, die Empö­rung bei Ein­grif­fen in die­se Wohl­stands­welt ist ste­tig groß. Noch nie hat man den Aus­ruf »Nicht mit mir!« in die­ser offen­bar bedroh­ten und zugleich wohl­ha­bends­ten und eigent­lich sorg­lo­ses­ten Gesell­schaft, die die­ses Land je erlebt hat, so oft gehört.

Wenn Grenz­ver­let­zung, dann soll sie bit­te­schön kon­trol­lier­bar sein. Auf jeden Fall in der Kunst, wenn alles ande­re schon nicht funk­tio­niert. Ist die­se anders oder ver­letzt gar den Besitz­stand des Kon­ser­va­ti­ven, dann ergreift Angst die Sze­ne. Und die ist der Geist, aus der die­se voll­kom­men über­flüs­si­ge, aber bezeich­nen­de Debat­te schöpft. Wir befin­den uns mit­ten in der Restau­ra­ti­on und hören die Stim­me des Mittelmaß.

Chris­ti­an Kracht muß für den restau­ra­ti­ven Men­schen die fleisch­ge­wor­de­ne Pro­vo­ka­ti­on sein. Äußer­lich im Gewand des Dan­dys, im Tweed, den Schei­tel akku­rat gezo­gen, sei­ne Figu­ren wie in »Faser­land« (1995) im Yup­pie­ge­wand (»Bar­bour­ja­cke«) cham­pa­gner­saufend auf Sylt – das ist eigent­lich eine siche­re Sache und so unbe­kannt nicht. Um so ver­stö­ren­der sind die Brü­che bei die­sem Autor, die iro­ni­sche Distanz, die federn­de und ele­gan­te Spra­che, die The­men, die Tar­nung. Und der immer wie­der auf­blit­zen­de Humor. Das ist auch so in »Impe­ri­um«, das Buch, um das es eigent­lich geht. Es lullt einen ein mit sei­nem sin­gen­den, sono­ren Ton, dem Wohl­laut sei­ner For­mu­lie­run­gen, sei­ner Exo­tik und beschreibt dabei Schei­tern und Zusam­men­bruch der Gesell­schaft im Klei­nen wie im Großen.

Die Sub­ko­lo­nie des August Engel­hardt, der ein­gangs beschrie­be­ne dür­re Mann in Deutsch-Neu­gui­nea, schei­tert genau an dem Still­stand, aus dem er und sei­ne Kokos- und Son­nen­an­be­ter flie­hen und aus­bre­chen woll­ten. All die­se Idea­lis­ten tra­gen ihr Erbe der Väter in sich, die Gesell­schaft, aus der sie gekom­men sind, sie sind ihrem gemein­schaft­li­chen Schei­tern aus­ge­lie­fert. Und wie die preu­ßi­schen Insu­la­ner zwangs­läu­fig, in ihrer Ver­mes­sen­heit, alles bes­ser machen zu kön­nen, in die Zer­stö­rung ihres Trau­mes vom bes­se­ren Leben steu­ern müs­sen, in glei­chem Maße erstickt das deut­sche Impe­ri­um, das groß sein woll­te, an der Hybris und dem Herr­schafts­stre­ben die­ser Zeit. Und die nächs­te Dre­hung der Schrau­be ist bereits ange­kün­digt, der Schritt in das »gro­ße Fins­ter­nis­thea­ter«, das hier natür­lich bereits ange­kün­digt ist.

Die Unaus­weich­lich­keit der Geschich­te des 20. Jahr­hun­derts, der Sog der Zer­stö­rung, steht hier an sei­nem Anfang. Und das hat noch nie jemand auf so far­big-vir­tuo­se Wei­se deut­lich gemacht wie die­ser Autor. Es ist sicher­lich ein Expe­ri­ment, die­sen Weg zu wäh­len, weit abseits vom Pfad eines mora­li­sie­ren­den Rea­lis­mus. Doch Chris­ti­an Kracht ist ein gro­ßer Fata­list, viel­leicht der größ­te sei­ner Gene­ra­ti­on. Hin­ter all der bun­ten Fas­sa­de, dem schwa­dro­nie­ren­den Erzäh­len, dem exo­ti­schen Sujet, der Aven­ture, lau­ert stets die Apo­ka­lyp­se, ob auf Sylt oder der Pal­men­in­sel Kaba­kon. Er liebt viel­leicht die Men­schen nicht, aber er zeigt sie deut­lich in ihrer Fehl­bar­keit und Selbst­über­schät­zung. Das ist ver­stö­rend und macht die Angst, die ein gutes Buch machen kann. Und es scheint ein rotes Tuch zu sein, für jene, die die Angst bereits haben.

Chris­ti­an Kracht hat sei­ne Lesung aus »Impe­ri­um« in Ham­burg am 20. April, wie ande­re zuvor schon, abge­sagt. Wahr­schein­lich freut das Eini­ge. Das ist der wirk­li­che Skandal.

Chris­ti­an Kracht:
Imperium
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Marc Buhl:
Das Para­dies des August Engelhardt
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