Was ist Wirklichkeit? Was ist Phantasie? Was ist Inszenierung? Es gibt diese Bilder, die auf ganz einfache Weise zeigen, wie vielschichtig, wie brüchig das ist, was wir wahrnehmen: Ein Zimmer mit einem Bild an der Wand, das genau dasselbe Zimmer zeigt, in dem ein Bild an der Wand hängt. So lange wiederholt, bis nichts mehr auf dem Bild im Bild zu erkennen ist. Ein unheimlicher Spiral-Effekt.
Bei “Venus im Pelz” funktioniert das so: Regisseur Roman Polanski setzt das erfolgreiche Theaterstück des Autors David Ives fürs Kino um, das wiederum auf einer Novelle des Österreichers Leopold von Sacher-Masoch beruht. Verstanden? Nochmal zum Mitschreiben: In dem Theaterstück (und folglich auch im Film) geht es um einen Regisseur, der eine Schauspielerin für eine Rolle zu besetzen hat.
Vanda, die sexuelle Muse eines großbürgerlichen Müßiggängers, Fixpunkt seiner Phantasien. Die letzte Schauspielerin, zufällig heißt sie mit Vornamen ebenfalls Vanda, kommt Stunden zu spät zum Vorsprechen. Der Regisseur ist genervt und will sie gleich wieder hinauswerfen, sie bleibt hartnäckig und besteht auf ihrer Chance. Die bekommt sie – Start für ein Katz- und Maus-Spiel, ein Kräftemessen, eine erotische Komödie und einen quälenden Seelen-Striptease.
Zwar wird der Ursprungstext auch als “Bibel der Unterwerfungswilligen” bezeichnet, als Blaupause für sexuelle Praktiken rund um Dominanz. Aber eigentlich handelt er nicht von Sex, wenigstens nicht nur, sondern von Macht und Ohnmacht, Kontrolle und Hingabe in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen.
Ganz privat, aber auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen. Die schenkelhohen Stiefel, der Lack und das Leder sind immer auch Metaphern – das war im 19. Jahrhundert nicht anders als heute. Und Selbstinszenierung gehört heute mehr denn je zum Spiel der Geschlechter, in Zeiten von online-Dating und Profil-Tuning in sozialen Netzwerken.
Natürlich handelt auch das ursprüngliche Zwei-Personen-Stück des Off-Broadway-Autors David Ives nicht davon, ob die beiden sich am Ende kriegen. Sondern wie sie sich bekriegen. Von Spielarten der Macht und der Macht des Spiels, in dem sich schon bald die Konturen der Figuren – Regisseur und Schauspielerin – und die Konturen der Rollen auflösen.
In dem nicht mehr klar ist, wer da spricht, Peitschen schwingt, sich unberührbar auf dem Sofa räkelt: Die Bühnenperson? Die Filmrolle? Die private Schauspielerin? Ein Vexierspiel, in dem man sich bis zu Schluss fragt, wer die wahre Vanda ist: Die kühle, kultivierte, bedrohliche Person auf der Bühne – oder die vulgäre, ungebildete Schauspielerin mit ihrem RTL II-Jargon (“voll Bombe, ey!”), die abfällig über den “Sado-Maso-Porno“ spricht, weil sie den Namen Sacher-Masoch noch nie gehört hat.
Und als wäre das nicht schon raffinierte Verwirrung genug, ist da auch noch der Bezug zum Leben Polanskis, in dem es bekanntlich mehr an Gewalt und an Sex gegeben hat als in jedem durchschnittlichen Hollywood-Blockbuster. In dem einfache Rollenzuschreibungen wie Opfer und Täter nicht recht greifen. Polanski, der Junge aus dem Ghetto, der tragische Witwer, der Kinderschänder.
Wenn Vanda (Emanuelle Seigner) aus dem Regisseur Thomas (Mathieu Amalric) herauskitzeln möchte, wie viel Masochismus und Obsession in ihm selber steckt, warum er gerade dieses Stück Literatur für die Bühne adaptiert hat – erinnert sie dann nicht an eine der zahlreichen Journalisten, die sich anlässlich des Films auf Roman Polanski stürzen? Die reflexhaft nach Parallelen zu seinem Leben, seinen Beziehungen, dem Skandal um den Missbrauch einer 13jährigen vor 40 Jahren fahnden? Und ist es nicht gleichzeitig reine Koketterie, dass Polanski seinen neuesten Film mit Anspielungen auf sein eigenes Leben und eigene Filme würzt?
Die grüne Hausjacke, die aussieht, als stamme sie aus dem Fundus von “Tanz der Vampire”; das klaustrophobische Zweier-Setting in dem heruntergekommenen Theater, das unwillkürlich an Polanskis Hausarrest in einem Schweizer Chalet denken lässt, während die USA seine Auslieferung wegen Kindesmissbrauchs forderte. Und als wäre das noch nicht genug, spielt nicht nur Polanskis eigene Ehefrau die undurchsichtige Vanda, sondern auch noch Mathieu Amalric den Regisseur im Taumel der Obsessionen.
Ein drahtiger, kleingewachsener Typ Mann, der selbst im Close-Up aussieht wie der jüngere Bruder Polanskis. In einer der letzten Einstellungen des Films steht dieser mit verschmiertem Lippenstift an einen drei Meter hohen Kaktus in der Mitte der Bühne gefesselt, ein Überbleibsel aus einer Western-Produktion. Ein starkes Bild. Und eines, das zu hämischen Assoziationen förmlich einlädt. “Polanski am Penis-Pranger”, alliterierte ein Filmkritiker folgerichtig.
Ein durchweg gelungener Film also, allerdings einer, der seine Zuschauer bisweilen hart fordert. Nicht etwa, weil er besonders explizit wäre, eher im Gegenteil, weil er so subtil ist. Die Kombination “Dunkler Kinosaal, monotoner Schauplatz plus zwei Personen” verlangt ganz schön viel Aufmerksamkeit.
Mehr jedenfalls als Polanskis letzte Theaterverfilmung “Gott des Gemetzels”, in dem die unterschiedlichen Allianzen der vier Figuren für mehr psychologische Abwechslung und Kamerafahrten vom Wohn- ins Badezimmer für mehr visuelle Varianten sorgten. Mehr auch als “Interview”, ebenfalls ein Zwei-Personen-Stück und Geschlechterduell, vor einigen Jahren verfilmt mit Steve Buscemi und Sienna Miller. Da erlaubte sich der Regisseur zumindest die Abwechslung zwischen Café, Loft und Straße.
Man könnte darüber streiten, ob die Filmkamera dem David-Ives-Stück tatsächlich eine Dimension hinzufügt, abgesehen vom persönlichen Polanski-Parlando. Oder ob das eigentlich ein Film für all die ist, die lieber ins Theater gehen als ins Kino. Andererseits läuft das Original-Stück in Deutschland derzeit nur im Renaissance-Theater Berlin, und dort spielen weder Emanuelle Seigner noch Mathieu Amalric mit. Da liegen Passage, Abaton und Zeise-Kino doch etwas näher.
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