Frau Margot möchte das nicht. Auf gar keinen Fall geht sie von links nach rechts. Das hat sie noch nie getan. Gottfried, der Dolmetscher, hat seine liebe Not mit Frau Margot (Honecker), Frau Imelda (Marcos) und Frau Leila (Ben Ali). Die Diktatorengattinnen sind zu einer Pressekonferenz anlässlich der Verfilmung ihrer Lebenswege angereist und hangeln sich mit großer Komik durch die Vorbereitungen. „Ein Leben ohne Attentat ist ja bedeutungslos“, merkt Frau Imelda an. Dem Publikum bleibt das Lachen im Halse stecken, und so nimmt „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ von Theresia Walser in der Thalia Gauß Garage seinen vergnüglichen wie bitterbösen Lauf.
Eine Woche zuvor sitzt Friederike Harmstorf, die Regisseurin des Abends, im Café Raum auf dem Gelände in der Gaußstraße. Nicht der Anflug einer Endproben-Müdigkeit, alles an ihr ist Euphorie – für das Stück, für die Kollegen, für ihr grandioses Ensemble. Kein Wunder: Für die Abschlussinszenierung ihrer Regieassistentenzeit am Thalia Theater hat sie eine Spitzen-Besetzung zur Verfügung: Sandra Flubacher, Victoria Trauttmannsdorf und Patrycia Ziolkowska als Diktatorengattinnen. Und zur Krönung einen Gast aus Berlin: Florian Anderer, eigentlich ein Herbert Fritsch-Schauspieler. Wie es dazu kam? Nach dem “Käthchen von Heilbronn” waren die drei Damen frei. Harmstorf machte sich also auf die Suche nach einem passenden Stoff mit drei starken Frauenrollen – und stieß dabei auf Theresia Walser.
Unterstützung von der Teppichetage
Wie aber die Rolle des Dolmetschers Gottfried besetzen, wenn gerade das gesamte männliche Thalia-Ensemble in Produktionen eingebunden ist? „Ich hatte tolle Unterstützung von der Dramaturgie und der Teppichetage“, erklärt Harmstorf.
Die Teppichetage ist der Leitungsflur, erfahre ich, denn da gibt es Teppiche. Verstehe. Wir stellen uns zu gern vor, wie Intendant Joachim Lux auf weichen Teppichen und mit wachem Blick die Belange des Hauses im Griff hat. Aber zurück zu Friederike Harmstorf. Natürlich ist eine solche Komödie viel Arbeit. Timing und Text müssen absolut exakt sein, die Pointen sitzen. Trotzdem: „An genau diesem Haus mit genau diesen Schauspielern dieses Stück zu machen, ist ein Geschenk“, strahlt sie. „Obwohl die Proben fordernd sind, halten alle die Energie hoch, weil sie diese Arbeit wirklich wollen.“ Es fühle sich ein bisschen so an, als bekäme sie den Einsatz ihrer Assistenzzeit jetzt zurück. Alle Gewerke halten zusammen, jede Abteilung hilft.
Wohnzimmer des Thalia Theaters
Auch die Regieassistenten unterstützen sich gegenseitig, die Kollegen übernehmen die Abendspielleitung für Harmstorfs Stücke, damit sie proben kann. Ein eingespieltes Team eben. Von diesem Zusammenhalt erzählt auch Anton Kurt Krause, dessen Abschlussinszenierung seiner Assistenzzeit von Jonas Hassen Khemiris Stück “Ich rufe meine Brüder” auch 2015/16 wiederaufgenommen wird. Wir sitzen im Assistentenbüro des Thalia Theaters. Hierhin führen so verwinkelte Gänge, dass Krause mich später zum Aufzug bringt, damit ich mich nicht verlaufe. „Das Thalia ist ein Zuhause“, sagt er. „Das habe ich auch wieder gemerkt, als ich für meine Inszenierung zurückkam. Theater ist Familie – man arbeitet mit den Menschen, denen man vertraut.“ Und auch Harmstorf erzählt im Interview: „Die letzten drei Jahre waren der Kracher. Und das ist ja das Absurde. Nenn mir einen Job, den man kündigt, obwohl man sich total aufgehoben und gefordert fühlt!“
Apropos fordern: Die Arbeitszeiten am Theater haben es in sich. Privat- und Arbeitsleben lassen sich hier kaum trennen. Aber die Assistenten am Thalia Theater bekommen auch Raum, um ausprobieren, arbeiten künstlerisch. Krauses Reihe „Schöner scheitern“ brachte es auf 13 Folgen im Nachtasyl. „Wenn man vom Thalia Theater als Zuhause spricht, ist das Nachtasyl das Wohnzimmer“, erklärt er. Auch Friederike Harmstorf hat sich dort in zahlreichen szenischen Einrichtungen Jahrhundertfrauen wie Mata Hari, Lou Andreas-Salomé oder Gertrude Stein angenommen. Die Frauenfiguren haben sie angesprungen, waren Leitfiguren, Vorbild und Inspiration für sie: „Das Schöne war, dass die Reihe die Zuschauer neugierig auf diese Frauen gemacht hat. Von manchen habe ich gehört, dass sie nach den Abenden begonnen haben, sich mit den Biografien zu beschäftigen.“
Das Feuer weitergeben
Drei Jahre also voller Kreativität, Zusammenarbeit mit ausgezeichneten Schauspielern, Inspiration von außergewöhnlichen Regisseuren. Mit deren ganz eigenen Handschriften, Arbeitsweisen und Kreativität kommen die Regieassistenten täglich in Berührung. Inwieweit ist diese Zusammenarbeit für ihre eigene, künftige Arbeit als Regisseure prägend? Fragt man Friederike Harmstorf nach solchen Begegnungen, nimmt sie sich Zeit nachzudenken. Sie will nicht werten, jede Arbeit war offenbar wichtig für sie. Aber zwei Regisseure erwähnt sie dann doch: „Dimiter Gottscheff hat mir etwas Essentielles vermittelt: Körpervertrauen ist Vertrauen in dich. Der Körper gibt Antwort, er gibt einem Urvertrauen.“ Von Leander Haußmann, der „vor Ideen sprüht“ nimmt sie den enormen Spielspaß mit.
Premierenloch 2.0?
Doch was kommt nach drei intensiven Jahren im Festengagement? Der Sprung ins kalte Wasser muss sein, will man selbst Regie führen. Auch Anton Kurt Krause weiß, dass es kein Zuckerschlecken wird, sich als freier Regisseur zu etablieren. Er hat nach seiner Assistenzzeit mit dem Theaterkollektiv „machina eX“ am Schauspiel Leipzig „Life of N“ erarbeitet. Das „theatrale Game“ ließ das Publikum als Spieler an der Handlung rund um einen verschrobenen Archivar miträtseln. Die Welt der Gamer auf der Bühne – für Krause eine ganz neue, aber spannende Erfahrung irgendwo zwischen Computerspiel, Theater und interaktiver Installation. Im Anschluss ging es relativ nahtlos an die Inszenierung von „Ich rufe meine Brüder“. Und jetzt? „Es ist so ein bisschen das Premierenloch 2.0“, gesteht er und lacht. Klar freut er sich. Auf das neue Leben in Berlin mit seiner Freundin. Darauf, endlich wieder Zeit zum Lesen zu finden: „Stoffe, Stoffe, Stoffe! Am besten jeden Tag ein Stück.“
Als Thilo von Quast vor zwei Jahren seine Assistenzzeit am Thalia beendet, steht seine Abschlussinszenierung – da zu diesem Zeitpunkt organisatorisch nicht möglich – noch aus. Ihm fehlt zunächst die Möglichkeit, sich mit einer eigenen aktuellen Regiearbeit vorzustellen. Nach seiner Zeit als Assistent arbeitet er frei – als Sounddesigner und Videokünstler, so z.B. 2013 in Maria Ursprungs Inszenierung von John Fosses „Besuch“ am Lichthof-Theater, die 2014 auch zweimal am Maxim Gorki Theater in Berlin zu sehen war. Im Februar 2015 hatte das Kinderstück „Die Konferenz der Tiere“ nach Erich Kästner Premiere, das er in Co-Regie mit Maria Ursprung inszeniert und wo er auch für Sound und Video verantwortlich gezeichnet hat. Und nächste Spielzeit holt das Team um Joachim Lux im Rahmen der Reihe „Junge Regie“ Thilo von Quast zurück ans Haus. 2015/2016 inszeniert er dort „In Plüschgewittern“ nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf. Das Thalia hält sein Versprechen.
Den Theatermarkt beobachten wie ein wildes Tier
Eine Regie an einem neuen Haus bekommt man aber natürlich nicht vom Stücke-Lesen und Warten, dass man angerufen wird. Herumfahren werden die jungen Regisseure, Kontakte pflegen, gucken, was Freunde und Bekannte am Theater machen. Ab auf die Premierenschau der deutschsprachigen Theater! Irgendwo kennt man ja immer jemanden aus dem Studium oder einer vergangenen Produktion. Irgendwie ist die Theaterlandschaft schließlich wie eine große Familie – eine voller Konkurrenten allerdings. Die Neugierde ist groß, ebenso die Lust darauf zu entdecken, was an anderen Häusern passiert. Künftig werden die jungen Regisseure, wie Krause es ausdrückt, „den Theatermarkt beobachten wie ein wildes Tier“.
Friederike Harmstorf hat den Fokus zunächst auf das Jetzt gerichtet, auf ihre Walser-Inszenierung. Natürlich hat sie Dramaturgen und Regisseure eingeladen, sich das Stück anzusehen. „Das sind Begegnungen auf Augenhöhe, die fortwirken. In erster Linie Mentoren, die mich bestärken.“ Das Danach sieht sie positiv: „Ich freue mich, in die Zukunft zu gucken; morgens aufwachen, neugierig bleiben, Begegnungen ernst nehmen.“ Dass der ein oder andere, der die Inszenierung sieht, vielleicht einen Regisseur für eine Produktion sucht, könnte ja sein – wer weiß?
Anton Krause sieht das realistisch. „Ich rufe meine Brüder“ hat in den Medien viel Aufmerksamkeit bekommen. Das mag an der Brisanz des Themas liegen: Denn das Stück zeichnet die Paranoia eines jungen Mannes mit Migrationshintergrund nach einem Anschlag. „Als wir anfingen zu proben, war der Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion gerade eine Woche her“, erzählt Anton Krause. Die Reaktionen darauf waren – neben der enormen Anteilnahme – sehr offen, man hörte zu: Muslime kamen ohne vorschnelle Vorverurteilung zu Wort, wurden gebeten, Stellung zu beziehen. Die Pegida-Demonstrationen zuvor mögen für diesen offenen Umgang gesorgt haben. Es war, als sei man in der Öffentlichkeit darüber beschämt gewesen, dass eine solche Bewegung in Deutschland überhaupt zustande kommt. „Wir beschlossen, die Rezeption auf das Ereignis in der Inszenierung zu verarbeiten.“
Fokus auf morgen
Auch wenn die Aufmerksamkeit groß ist, ist natürlich unklar, ob die „richtigen“ Leute den Abend zu Gesicht bekommen, nämlich die Entscheider: Intendanten, Schauspieldirektoren, Dramaturgen auf der Suche nach neuen, spannenden Handschriften für ihre Häuser. Also heißt es abwarten, unterwegs sein und weitermachen. Denn der Beruf ist es wert. „Es ist ja ein Geschenk“, sagt Thilo von Quast. „Eine Arbeit zu haben, die man leidenschaftlich gerne tut, bei der man so viel Freiraum für die Auseinandersetzung mit den eigenen, aber auch den Ideen und Gedanken anderer hat“.
Er freut sich auf die Proben zu „In Plüschgewittern“: „Einerseits, weil das Thalia ein Stück Familie für mich war und ist, andererseits weil die Vertrautheit mit dem Haus und dem Ensemble natürlich ganz andere Voraussetzungen für eine solche Probenarbeit bietet, als wenn man vollkommen ‘fremd’ wäre“. Gemeinsam mit der Dramaturgie wird er eine Stückfassung aus der Vorlage entwickeln. Der Stoff hat ihn sofort gereizt: „Es ist das Psychogramm eines Mannes um die 30 – irgendwie auf der Suche, irgendwie auf der Flucht. Sein Blick auf die Umwelt und sich selbst ist manchmal entlarvend, mal stark überzeichnend und steckt voller Ironie, Zynismus und Lakonik. Doch hinter der Fassade steckt ein sehr widersprüchlicher Charakter, der sich nach und nach aus einzelnen Puzzleteilen zusammensetzt. Das finde ich ungemein spannend.”
Selbstmarketing und Wunschkonzert
Anton Krause wird sich erst mal auf seine Homepage konzentrieren, Mitschnitte seiner Inszenierungen und szenischen Einrichtungen sichten, schneiden und zusammenstellen. Wenn er sich ein Haus aussuchen dürfte, welches wäre es? „Das Thalia natürlich“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Hier kenne ich die Schauspieler, und sie kennen mich. Wir haben künstlerisch Bock aufeinander.“ Und wenn es ein fremdes Haus wäre? Krause denkt. Die Münchener Kammerspiele unter dem designierten Intendanten Matthias Lilienthal, der vom HAU aus Berlin kommt, ein ehemaliger Volksbühnen-Dramaturg. Und Düsseldorf unter Wilfried Schulz – derzeit noch Intendant am Staatsschauspiel Dresden – hätte es verdient, spannend zu werden, findet er. In der freien Szene wäre es das Ballhaus Ost in Berlin, ein inspirierender Ort für ihn. Anträge schreiben für Förderungen, das kennt er noch aus seiner Zeit aus Magdeburg von seinem Festival „Improv(is)e your life“. „Lernt Anträge schreiben“, hat auch Luk Perceval seinen Studenten in Ludwigsburg geraten. „Das Stadttheater in seiner jetzigen Form wird sterben.“
Ob Friederike Harmstorfs Inszenierung „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ in der Spielzeit 2015/2016 wiederaufgenommen wird, ist zum Interviewzeitpunkt vor der Premiere natürlich noch unklar. Doch läuft der Kartenverkauf so gut, dass sie in die größere Spielstätte umzieht: Ab 15.5.15 zanken sich die Diktatorengattinnen auf der Studiobühne in der Gaußstraße. Kein Wunder: Eine bitterböse Textvorlage voll schwarzem Humor, vier ausgezeichnete Schauspieler und eine mit exaktem Timing gearbeitete Inszenierung, bei der jede Pointe auf den Punkt ist. Ein absurder Strauß weltfremder Befindlichkeiten der Diktatorengattinnen, ein Dolmetscher, der sich als Frau Margots größter Verehrer entpuppt, und eine Matroschka-Urne mit Erich Honeckers Asche – das Publikum hat seine helle Freude.
Es wird spannend zu beobachten, wohin es die jungen Regisseure verschlägt. Eine neue Generation von Assistenten hält jetzt die Produktionen am Thalia Theater am Laufen, erfindet ihre eigenen Reihen im Nachtasyl und hat ein paar Jahre im Probenstrudel vor sich. Und wird danach vielleicht ebenso wie Anton Kurt Krause grinsend im Regieassistentenzimmer sitzen und sagen: „Manchmal frage ich mich schon: Warum hast du bloß nichts Anständiges gelernt?“ Und dann werden sie wahrscheinlich ihre Sachen packen und sich aufmachen in die große wilde Welt des Theaters.
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