Interferenzen

Christiane Pohle inszeniert "Drei Schwestern" am Thalia Theater

Fünnef, zwo, null, null … (Bild: www.rundfunkmuseum-brunn.de)
Fün­nef, zwo, null, null … (Bild: www.rundfunkmuseum-brunn.de)

Radiow­ellen sind die allerselt­sam­sten unter den Gesellen, die Stim­men aus fer­nen Gefilden tra­gen. Die Skalen der Rund­funkgeräte, deren Glimm­lam­p­en gold­schim­mernde Skalen beleucht­en, kün­den von merk­würdi­gen Sta­tio­nen, die in der Ferne liegen: Beromün­ster, Hil­ver­sum I, Hil­ver­sum II. Die unsicht­baren Wellen haben es auch noch schw­er, zu ihren Empfängern zu kom­men, es rauscht und sur­rt und pfeift, unbes­timmte Töne aus einem unbes­timmten Raum in der unsicht­baren Welt. Das schafft Sehn­süchte und Hoff­nun­gen und ist doch ein ver­lässlich­er Klang, gegen die Stille, die son­st herrschen würde. Die Thalia-Bühne in Chris­tianes Pohles “Drei Schwest­ern” ist voll von den Empfängern dieser Aussen­welt, voller gold­en­er Skalen und voller Töne aus dem weit­en Raum. Andrej Serge­je­w­itsch Prosorow (Sebas­t­ian Zimm­ler), Çechovs Ver­huschter, hängt an diesen Geräten, ruft Klänge aus ihnen her­vor, Geräuschfet­zen unbes­timmter Herkun­ft und voller Nach­hall. Wenn das Radio nichts mehr hergibt an Illu­sion­sakustik, greift er in den leeren Klan­graum, zum Theremin, jen­em Instru­ment des Unfass­baren, das mit Hand und Kör­p­er im Nichts, in der elek­tro­mag­netis­chen Welle gespielt wird.

Es ist nicht der Raum, der diesen Abend bes­timmt, obgle­ich der ein­drucksvoll genug ist – ein hochge­bauter Dachbo­den, mächtige Balken, die zwei Ebe­nen tra­gen – son­dern die Radiow­ellen, die unsicht­baren Illu­sion­sräume des Stück­es. Es wird unun­ter­brochen gere­det bei Çechov, man will, man kann, man muss, und man kann doch nicht. Die drei Schwest­ern und das ganze andere Per­son­al quatscht sich die Welt zurecht und in die Illu­sion des Unbes­timmten und Fremdbes­timmten hinein. Die Sehn­sucht nach der grossen Stadt, in der man es bess­er hat als am Ort des Seins; die Liebe, die kommt, die ist, die nie wird; die Kar­riere, die nie war und doch hätte sein kön­nen – alles geht und geht nicht. Man “philoso­phiert”, so ste­ht es geschrieben, bei Brasch, bei Çechov, im Leben. Es ist Geschwätz, Indif­ferenz, ja eigentlich Inter­ferenz, Über­lagerung zwis­chen der Ver­hin­derung und der Wahrnehmung des Seins.

Da sind ein paar wun­der­bare Schwätzer auf der Bühne. Die jun­gen Mäd­chen, Schnöink, Hag­meis­ter, Seifert. Die Ker­le, Simon, Niehaus, Greis. Josef Osten­dorf. Und Vic­to­ria Trauttmanns­dorff. Die darf mal nicht die hys­ter­ische Säuferin mit Gewal­tam­bi­tio­nen wie im deutschen dig­i­tal­en Bilder­sturm geben, wie just am Auf­führungsabend wieder im Tatort zu sehen, son­dern ihre aus­gereifte und höchst intel­li­gente Kun­st zeigen. Sie macht kleine Dinge zu Großen, Sprache zur Stimme und Fas­saden zu Fen­stern.

Es ist wirk­lich die reine Freude, sich auch die kleinen gestis­chen Manieris­men anzuse­hen, die sie sich gön­nt. (“Hier rein – da raus …”) Ein ander­er “alter” Thalia-Recke, Hans Kre­mer, ste­ht ihr in nichts nach. Dem reicht eine Szene für seinen Mil­itärarzt, um die Erken­nt­nis des Stück­es in die Welt zu wür­gen. Was für ein Trinker!

Chris­tiane Pohles Schwest­ern­welt scheint so ganz und gar stim­mig zu sein. Die Ton­tep­piche, die ein wenig an die akustis­chen Atmo­sphären Andrea Breths erin­nern mögen, die sorgfältig aus­gewählte Musik der Indif­ferenz – Strass, Rav­el, Pärt, die immer wieder aus den Geräten tropft. Die weit­ere Ent­frem­dung, Text­teile aus dem Off rieseln zu lassen, syn­thetis­che Stim­men aus der Frühzeit der Com­put­erära, alles schön, alles weit ent­fer­nt und möglichst indi­rekt. Die Zahlenkolon­nen aus dem Rund­funkempfänger, unver­ständliche Spi­onage­codes aus den Tiefen des unendlichen Äthers. An all das klam­mern sich die Fig­uren, hangeln an der Illu­sion­swelle ent­lang, erstar­ren immer wieder zu sta­tis­chen Tableaus, hal­ten inne.

Indes – irgen­det­was funk­tion­iert daran nicht, oder vielle­icht auch nicht so ganz. All die Sorgfalt, die auf die Dezen­trierung der Fig­uren und ihrer Beziehun­gen gelegt wird, wirkt gelähmt, etwas neben der Spur. Winzige Ver­schiebun­gen im Tim­ing, die erst sicht­bar wer­den, wenn Trauttmanns­dorff und Kre­mer aus sich her­aus den Rhyth­mus verän­dern, brin­gen das an sich so schlüs­sige Konzept ins Schlingern. Da wo es ein wenig hak­en kön­nte, wird geglät­tet, range­spielt, die hil­flose Suche nach der Pointe zu schnell aufgegeben und der Ein­satz gemacht. Das ist zugegeben­er­maßen ger­ingfügig, zieht aber Wirkung nach sich. Wenn es noch ein wenig bess­er gin­ge, wäre es wohl gut. Es bleibt ein wenig Hoff­nung, oder?

“Und mor­gen wird die Sonne wieder scheinen,
und auf dem Wege, den ich gehen werde,
wird uns, die Glück­lichen, sie wieder einen
inmit­ten dieser son­nenat­menden Erde…

Und zu dem Strand, dem weit­en, wogen­blauen,
wer­den wir still und langsam nieder­steigen,
stumm wer­den wir uns in die Augen schauen,
und auf uns sinkt des Glück­es stummes Schweigen …”

Straussens bürg­er­liche Mor­gen­musik, hier kann man sie noch ein­mal hören. Und für einen Moment den Schn­abel hal­ten und über Çechov nach­denken. Wohlge­merkt, nach denken, nicht “philoso­phieren”.

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