Kraftbeißhaken

Matthias Göritz Gedichtband »Tools«

Jaja, wer Lyrik schreibt, ist erst ein echter Dichter, ein Poet und das richtig. Der Ham­burg­er Überdichter Peter Rühmko­rf titelte einst mit sein­er Ver­rück­theit und war in den 70ern, so ganz SPD-nah, mit dem schwadronierend­sten aller Jazz-Redak­teure, Michael Nau­ra, unter­wegs. Das hat­te Erfolg und war teilpoli­tisch und teilpo­et­isch. Die Zeit­en sind vor­bei, wobei der eine oder andere Bil­dun­sg­bürg­er oder Bil­dungs­bürg­er­nachah­mer – der vor allem – das hohe Lied des extem­po­ri­erten Vor­trags singt. Kinder, lernt Gedichte! – wenn’s denn Pisa dient.

So richtig ist die Poe­sie nicht mehr vorhan­den im Volk der Dichter und Denker, bei Lyrik denkt die dig­i­tale Mod­erne dann doch lieber an Lyrics und googelt mal schnell die Verse nach, die der ger­ade so ful­mi­nante Pop­u­larkün­stler verzapft hat. Denn Lyrik ist schw­er und dräuend und von Göthe und Schiller; wenn’s hoch kommt, noch die “Brück am Tay”. Höch­stens. In der Nis­che blüht ein Celanzweig. Aber das ist eben schw­er und was für den Lit­er­aturkreis.

Warum soll man denn dann heute ein Buch kaufen, auf dem ziem­lich ver­steckt der Hin­weis auf “Gedichte” gedruckt ist? Weil sie eben doch noch gibt, die Poet­en, die mehr als die Lied­stro­phe beherrschen, die sin­gen kön­nen, ohne zu trällern, und die Geschicht­en erzählen kön­nen. Matthias Göritz schmaler Band “Tools” (eine gewisse Vor­liebe für den englis­chen Dop­pel­laut ist da zu erken­nen, so gibt es außer­dem das ana­gram­ma­tis­che  Titelpärchen “Loops” (2001) und “Pools” (2006))  ist so ein­er, den man lohnend kaufen kön­nte. Denn hier spricht ein deutsch­er Dichter, tief ver­wurzelt in der Tra­di­tion und angekom­men in der Mod­erne.

Wie das geht? Da gibt es viere­in­halb Abschnitte, Kapi­tel – ein­er davon heißt “Auto­mo­bile”. 15 Gedichte, die Geschichte eines Liebe­spaares auf der Reise durch Europa. Kein gewöhn­lich­es Paar, ein Autok­nack­er­pärchen, jed­er Ort ein anderes Fahrzeug, jedes Mal eine andere Art, dessen Schutz aufzuheben, ein anderes Tool:

I. Audi A2
Wagen der Schwest­er, Neu­jahr, König­stein, Taunus, Polen­schlüs­sel

Auto­mo­bile: ein zit­triger Anfang. Immer denken
dass ich die über­all küssen will. […]

Ein Spiel mit einem Genre, Road­movie, À bout de souf­fle, das Autora­dio und das Lied, das zur Stim­mung passen mag, ein Kom­men­tar:

Haut nackt im Niesel. Die Liebe macht uns stumm.
Anderes Lied: I once fell in love with you
just bea­cuse the sky turned off from grey into blue […]

Die Geschichte geht weit­er und mit ihr die Fra­gen an die Geliebte und an das Leben, Zweifeln und Hof­fen sind impliz­it:

Eifer­sucht ist schnell auf dem Radarschirm.
Miss mich nicht. Ver­miss mich. Kauern
im Schat­ten des Schiebe­dachs, Som­mer­flim­mern 

Das sind Gedichte mit nar­ra­tivem Moment, Innen­schau ohne Verk­lärung und mit einem gle­icher­maßen inni­gen wie kraftvollem Momen­tum verse­hen. Und sie sind in eine höchst kun­stvolle Form gegossen – ein Sonet­tenkranz, klas­sis­ch­er geht es kaum, 14 Sonette und das abschließende “Meis­ter­son­ett”, das sich aus den Schlusszeilen der vor­ange­hen­den Rei­he bildet.

 

Göritz wählt die petrarkische Urform dieses Typus, beste­hend aus je zwei Vierzeil­ern und zwei Dreizeil­ern und geht damit weit zurück in der europäis­chen Tra­di­tion. Trotz aller Form ist das Ganze immer wieder als ein Spiel zu betra­cht­en, eine gewisse Ver­liebtheit in die Vir­tu­osität die Form zu beherrschen, ist dem Autor nie abzus­prechen. Er hat sichtlich Freude an diesem Zusam­men­schluss zwis­chen Tra­di­tion und Mod­erne.

Eben­so auf­fal­l­end wie diese stilis­tis­che Sicher­heit ist die the­ma­tis­che Öff­nung des europäis­chen Begriffs. Göritz ist ein umtriebiger Reisender, im realen Leben und in seinen Gedicht­en. Er ist nicht nur in Petrar­cas Ital­ien zu Hause, sein Europa hört auch nicht in Frankfurt/Oder auf. All die alten Verbindun­gen sind da präsent, Polen, Deutsch­land, Frankre­ich, die Gemein­samkeit ein­er viel­hun­dertjähri­gen und oft auch fürchter­lichen His­to­rie.

In Berceuse Des-Dur op. 57, einem dieser Erin­nerungsstücke, heißt es:

schreibt er seine mys­ter­iös­es­te (schön­ste)
Musik (die Berceuse)

Vielle­icht ist etwas von George Sand in ihr.

Wie wenig unter­schei­den sich die Zeit­en,
wie sehr. 

Und:

Es ist selt­sam, wie in der Geschichte,
der pro­sais­chsten aller Zurich­tungs­for­men,
das Herz auf­taucht, das kom­plizierteste Wort der Poe­sie.

Das ist ein Cre­do und auch ein tiefer Kern­satz dieser Lyrik, der die Verbindung von wahrgenommen­em und erlebtem Leben – auch im unge­fähren – in diesem Werk ver­ankert. Das das nicht immer dräuend, schw­er oder belehrend sein muss, son­dern auch mit flo­ret­tieren­dem Charme, liest man dann hier:

Du warst so schön wie ein Bild,
das ger­ade im Schloss hing, die Dame
mit dem Her­melin von Da Vin­ci, nur du
warst die ohne. Ohne
kon­nte man ein­fach mehr
sehn. 

Ein deutsch­er Dichter, ein europäis­ch­er Dichter und ein poli­tis­ch­er Dichter.

So ist es gut.

Matthias Göritz: Tools. Gedichte
Berlin Ver­lag [Ama­zon Part­ner­link] 

 


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