Music is real!

Axel Fischbachers Weg in die künstlerische Unabhängigkeit und was das mit Prince zu tun hat

Finden Sie Ihre eigene Handschrift! (Bild: HHF)

Der Mode­ra­tor des Pri­vat­ra­dio­sen­ders konn­te kaum an sich hal­ten. Ja, wie­der so eine merk­wür­di­ge Allü­re eines die­ser über­ge­schnapp­ten Pop-Spin­ner aus Ame­ri­ka. Jetzt hat­te sich der Super­star der 80er Jah­re, der klei­ne Mann aus Min­nea­po­lis unbenannt.

Nicht mehr Prin­ce woll­te er hei­ßen, nein, statt sei­nes Künst­ler­na­mens, mit dem er bis dahin 4 Gram­mys und unend­li­che Chart­erfol­ge fei­ern konn­te, woll­te er kei­nen Namen mehr tra­gen. Statt­des­sen stand nun, im Jahr 1993, ein kryp­ti­sches Sym­bol für den »ver­rück­ten Künst­ler«. Genannt wur­de er von der Pres­se nun­mehr »The Artist Form­er­ly Known As Prin­ce«, TAFKAP als Akro­nym – das ließ sich der Radio­mann schnal­zend über die Zun­ge laufen.

Dabei leis­tet sich der Aus­nah­me­künst­ler tat­säch­lich nicht eine sei­ner vie­len Wun­der­lich­kei­ten, Prin­ce Rogers Nel­son kämpf­te um den Selbst­be­halt an sei­ner Kunst. Grund für das zunächst leicht belä­chel­te Aus­stei­gen aus der Musik­in­dus­trie, das bis ins Jahr 2000 dau­ern soll­te, waren die Ein­grif­fe sei­ner Plat­ten­fir­ma War­ner Bros. in sei­ne künst­le­ri­sche Arbeit, die er nicht wei­ter zulas­sen woll­te. Es ging ihm nicht um sein Para­dies­vo­gel­da­sein, son­dern um das Recht, den Pro­duk­ti­ons­pro­zess sei­ner Musik von Anfang bis Ende selbst bestim­men zu können.

Heu­te, im Jahr 2025 – Prin­ce ist inzwi­schen tot und längst zur Legen­de ver­klärt – hat sich die Situa­ti­on in der Musik­in­dus­trie und der Künst­ler durch die Digi­ta­li­sie­rung kom­plett ver­än­dert. Kaum noch jemand kauft ein »Album« und hört es bewusst von Anfang bis Ende durch, Musik, gleich wel­cher Art ist durch die welt­weit erhält­li­chen Strea­ming-Maschi­ne­rie, omni­prä­sent ver­füg­bar gewor­den. Jeder Jugend­li­che hat auf sei­nem Smart­phone eine der Apps, die alles ver­füg­bar hal­ten. Plat­ten­fir­men als media­le Ver­mitt­ler sind nahe­zu bedeu­tungs­los gewor­den, die Ver­kaufs­zah­len für CDs (dem digi­ta­len Ton­trä­ger der 90er schlecht­hin) sin­ken weiter.

Für die Künst­ler bedeu­tet das, in einer Zeit, in dem die Aus­spie­lun­gen auf Spo­ti­fy und Apple Music rele­van­ter sind als die Ver­käu­fe phy­si­scher Medi­en, in ers­ter Linie gro­ße Ein­kom­mens­ver­lus­te. Ein »Play« auf Spo­ti­fy bringt gera­de ein­mal € 0,0041 ein – wel­che Aus­spiel­ra­ten da für den Lebens­un­ter­halt von­nö­ten sind, kann man ohne gro­ße mathe­ma­ti­sche Kennt­nis­se erschlie­ßen. Tat­säch­lich liegt das Geld da eher auf der Stra­ße – durch Auf­trit­te und Tour­neen ver­die­nen die meis­ten Musi­ker heut­zu­ta­ge mehr als durch den Medienvertrieb.

Musik ist all­ge­gen­wär­tig also, und ent­spre­chend belie­big ist der Kon­sum gewor­den. Kura­tier­te Play­lists, algo­rith­misch gesteu­er­te Hit­pla­nung – all das ist für Musi­ker, die sich nicht dem musi­ka­li­schen Main­stream zuord­nen las­sen wol­len, ohne­hin kei­ne Kate­go­rie. Ihnen bleibt der Weg durch all die Auf­tritts­or­te und Clubs, die es seit der Coro­na-Kri­se ohne­hin nicht beson­ders leicht haben, die Leu­te blei­ben schlicht zu Hau­se bei Net­flix, Ama­zon Prime oder Dis­ney+. Oder besu­chen Are­nen, in denen Tay­lor Swift auftritt.

Kei­ne rosi­gen Zei­ten für Musi­ker, die sich der impro­vi­sier­ten Musik ver­schrie­ben haben. Ihre Kunst lebt mehr als bei kon­fek­tio­nier­ter Pop-Musik aus dem Moment, ent­steht häu­fig im Augen­blick und steht mit ihrem gan­zen Wesen gegen die belie­bi­ge und oft auch belang­lo­se Mas­se der all­ge­gen­wär­ti­gen Repro­du­zier­bar­keit. Wer da bei Wal­ter Ben­ja­min sucht, fin­det da nur eine Ahnung der Rea­li­tät. Was also tun, frag­te sich der deut­sche Jazz-Gitar­rist Axel Fisch­ba­cher schon vor eini­gen Jah­ren, wie ent­kom­me ich die­ser Gefan­gen­nah­me des krea­ti­ven Outputs?

Als ich als Axel Fisch­ba­cher zum ers­ten Mal traf, erleb­te ich ihn als einen Musi­ker, der sich sei­nes krea­ti­ven Schaf­fens­pro­zes­ses durch­weg bewusst ist. Er hat bis­lang so ziem­lich alles gemacht, was eine pro­fes­sio­nel­le Musi­ker­kar­rie­re, die sich außer­halb des Pop-Star-Betriebs bewegt, so aus­zeich­net. »Mucken« nennt man das in sei­nen Krei­sen, Auf­trit­te in klei­nen Sälen, hier mal eine Stu­dio­pro­duk­ti­on für einen Star, dort in der Band eines ande­ren Stars auf der Büh­ne. Aber sein Herz gehört sei­ner »eige­nen« Musik, das, was er mit sei­nem inzwi­schen lang­jäh­rig ein­ge­spiel­ten Ensem­ble – ein Trio mit dem Bas­sis­ten Nico Bran­den­burg und dem Schlag­zeu­ger Tim Dudek – an Klän­gen und Lines ent­wi­ckelt hat. Hör­te man im Streich­quar­tett einst »vier ver­nünf­ti­ge Leu­te sich unter­hal­ten« (Goe­the), ent­ste­hen in solch einer Kom­bi­na­ti­on freie Gesprä­che zwi­schen drei Musi­kern, tref­fen spon­ta­ne Ein­fäl­le und Ein­ge­bun­gen auf­ein­an­der und flie­ßen wie­der aus­ein­an­der. Das gleicht weni­ger der gepfleg­ten Kon­ver­sa­ti­on als einem augen­blick­li­chen und flie­ßen­den Ideen­aus­tausch zwi­schen ver­schie­de­nen Geis­tern, inbe­grif­fen des jazz­ty­pi­schen Solis­ten­tums, der frei­en Rede in der Musik.

Sei­ne Idee also, die mir damals erst ein­mal nur »inter­es­sant« vor­kam: Was wäre also, wenn man das Momen­tum einer Impro­vi­sa­ti­on nur noch im Augen­blick des Ent­ste­hens erle­ben könn­te und die­sen so unmit­tel­ba­ren Augen­blick so unbe­ar­bei­tet wie mög­lich kon­ser­vier­te? Und dann die­se soli­tä­re Pro­duk­ti­on wei­ter ver­knapp­te, in dem man sie nicht der Mas­sen­ver­wer­tung zuführ­te, son­dern aus­schließ­lich in einer limi­tier­ten (und auch teu­ren) Spe­zia­ledi­ti­on veröffentlichte?

Aus die­ser Idee wur­de ein Pro­jekt, das Vinyl-Album »Live 2022 – Axel Fisch­ba­cher ft. Sophia Oster« erschien in einer Auf­la­ge von 500 Exem­pla­ren, ana­log auf­ge­nom­men in den Bau­er Stu­di­os in Lud­wigs­burg auf einem Ton­band, es fand kei­ne wei­te­re »Pro­duk­ti­on« oder Mischung statt. Ich schrieb dann dazu die »Liner Notes«, eine kur­ze Para­phra­se über Geor­ge und Ira Gershwins Klas­si­ker »Someone to watch over me«. Natür­lich ziel­te das auch auf die audio­phi­len Samm­ler, die bei 180g-Vinyl und unter­arm­di­cken Laut­spre­cher-Kabeln leuch­ten­de Augen bekom­men – eine Kli­en­tel, die sich die elek­tri­schen Wer­te ihrer »Anla­gen« wie Zau­ber­ver­se zurau­nen kann. Manch­mal tritt da dabei die Musik ein wenig in den Hin­ter­grund ob all der Tech­nik. Aber das Album ver­kauf­te sich, die dazu­ge­hö­ri­ge Tour­nee war ein Erfolg. auch für den Band­lea­der Fisch­ba­cher, der damit einen ers­ten Schritt in sei­nem Ansatz zu der neu­en Frei­heit sei­ner Kunst verwirklichte.

Was also nun, wenn man die­sen Gedan­ken noch wei­ter aus­bau­te? Wenn man direkt auf die Plat­te schrei­ben könn­te, also jed­we­de Wie­der­ho­lung oder »Ver­bes­se­rung« kom­plett unmög­lich mach­te? Eine sol­che ana­lo­ge Tech­no­lo­gie, kaum vor­stell­bar in den voll­di­gi­ta­len Pro­duk­ti­ons­ab­läu­fen der heu­ti­gen Musik­in­dus­trie, gibt es durch­aus. Das Ver­fah­ren geht his­to­risch zurück auf die Ursprün­ge der Ton­trä­ger­pro­duk­ti­on, als die frü­hen Jazz­mu­si­ker sich um einen Auf­nah­me­trich­ter ver­sam­mel­ten und ihre Schall­wel­len auf eine Wachs­ma­tri­ze oder ein Metall­mas­ter auf­zeich­ne­ten. Nun, über 100 Jah­re spä­ter heißt die­se Tech­nik »Direct-to-Disc Metal Mas­te­ring« – hier wird in einer Ses­si­on die gan­ze Plat­ten­sei­te auf­ge­nom­men und direkt in die Vor­la­ge der Matri­ze geschnit­ten, aus denen spä­ter die Vinyl-Plat­ten gepresst wird. Augen­blick­li­cher geht es nicht mehr.

So ent­stand nun 2023 »The Lon­don Ses­si­on«, an einem mythi­schen Ort, der seit 1969 berühm­tes­te Zebra­strei­fen der Musik­ge­schich­te ist dort direkt vor der Tür – es sind die Lon­do­ner Abbey Road Studios.

Die Bedin­gun­gen für solch eine Pro­duk­ti­on sind gänz­lich anders als bei her­kömm­li­chen Auf­nah­men: »Die­se Art der Auf­nah­me ist extrem anstren­gend für uns und ver­langt eine enor­me Kon­zen­tra­ti­on – ein­mal ver­spielt, war die gan­ze Schneid­plat­te hin und wir konn­ten wie­der von vor­ne anfan­gen. Eine Teil-Kor­rek­tur ist eben voll­kom­men unmög­lich.« meint Axel Fisch­ba­cher rückblickend.

Inter­es­sant ist hier der Spa­gat zwi­schen dem Anspruch nach audio­phi­ler Voll­kom­men­heit der Kabel ‑Nerds, und der durch die Live-Situa­ti­on vor­ge­ge­be­ne natür­li­che Unvoll­kom­men­heit. Dabei ist die tech­ni­sche Bril­lanz nicht eigent­lich das, was ein Album wie die­ses aus­macht. Es geht weder um die Vir­tuo­si­tät der Musi­ker, nichts ist die­ser Auf­nah­me fer­ner als die Eitel­keit »per­len­der Läu­fe« oder Fin­ger­satz­akro­ba­tik eines Solis­ten. Im Reit­sport gibt es den Begriff der »Ver­samm­lung«, eines Zustan­des gleich­zei­ti­ger auf­merk­sa­mer Ange­spannt­heit und Los­ge­löst­heit – so unge­fähr kann man sich den Zustand vor­stel­len, in dem sich das Album prä­sen­tiert. Die­se Kon­zen­tra­ti­on auf den Moment, aus dem die Impro­vi­sa­ti­on, die Idee des Ein­zel­nen sich ent­fal­tet ist das wesent­li­che Merk­mal die­ser Auf­nah­me. Mit jeder Umdre­hung des Plat­ten­tel­lers, mit jedem Mikro­me­ter, die sich der Ton­arm nach innen bewegt, ver­dich­tet sich die­ser Ein­druck. Hier begeg­nen sich die Musi­ker in einem fast eso­te­risch anmu­ten­den Zustand von Abge­stimmt­heit und Frei­heit glei­cher­ma­ßen – ein Erleb­nis, das jeder Live-Kon­zert-Besu­cher voll­kom­men gen­reun­ab­hän­gig wie­der­erken­nen mag. Man muss nicht ein­mal ein Jazz-Fan sein, um die­sen Aus­druck künst­le­ri­scher Eigen­stän­dig­keit und des sel­te­nen Augen­blicks wür­di­gen zu kön­nen. Ist es »live«? – Nein. Aber es kommt dem, was in der moder­nen Krea­ti­vi­täts­for­schung als die Abbil­dung des »Akt der Ideie­rung« bezeich­net wird, also als Gene­rie­rung von Ideen als ein bewuss­ter, akti­ver Pro­zess, sehr, sehr nahe.

Und so kom­men sie dann alle zusam­men, Prin­ce und der Auf­nah­me­trich­ter, die Musik­in­dus­trie und der künst­le­ri­sche Moment, die Moder­ne und das his­to­ri­sche Vinyl, und schließ­lich eine Jazz­plat­te mit einem gro­ßen Ziel, das sie tat­säch­lich erreicht.

Das Album war für den Preis der deut­schen Schall­plat­ten­kri­tik nomi­niert. Viel­leicht hät­te »The Artist«, der in vie­len Gen­res zuhau­se war, an solch einer voll­kom­men frei­heit­li­chen und unab­hän­gi­gen Pro­duk­ti­on sei­ne Freu­de gehabt.

Axel Fisch­ba­cher Trio
»The Lon­don Session«
ist natür­lich am ehes­ten beim Künst­ler direkt (dort ganz nach unten scrol­len) und im Schall­plat­ten-Han­del zu erwer­ben und nicht in einem der gro­ßen Online-Shops. Es gibt nur eine Vinyl-Ver­si­on, weder Links auf den Strea­ming-Por­ta­len, noch eine CD. Das auf 500 Exem­pla­re limi­tier­te und hand­nu­me­rier­te Album kos­tet 60 Euro
zzgl. 7,44 Euro Versand/​Deutschland

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*