Sie gehen daher wie ein Schemen …

Hörspieltheater – Peter Handkes "Immer noch Sturm"-Premiere im Thalia

Filetstück (© Thomas Otto - Fotolia.com)
Filet­stück (© Thomas Otto — Fotolia.com)

Vergessen wir ein­mal, wie der Regis­seur Dimiter Gotscheff seinen Schaus­piel­er des Jahres, Jens Harz­er, förm­lich zur Schlacht­bank führt, indem er ihn in all sein­er Begren­ztheit in einem beina­he halb­stündi­gen Schlussmonolog vor­führt. Immer wieder muß Harz­er hin und her tigern, zwei Meter nach rechts, zwei Meter nach links und dabei sprödeste hand­kesche Agit­prop-Texte auf­sagen.

Der typ­is­che Harz­er­ton, jenes irgend­wo zwis­chen Gau­men und Nase entste­hende Nölen, daß noch in Jette Steck­elsDon Car­los” so viel klar machen kon­nte, zur Brechung des Muse­um­s­textes führte und wohl auch auss­chlaggebend für den Jahresti­tel war, der die ganze Kol­le­gen­schar besof­fen machte – endlich ein Anti-Schiller zwis­chen Poe­sie und All­t­ag, weg mit den alten Zöpfen und­so­fort – dieser Ton demask­iert sich hier ein­deutig als die immer wiederkehrende Masche eines recht guten, aber eben doch nur durch­schnit­tlich guten Schaus­piel­ers.

In der Essenz gelingt es ihm nicht, irgen­deine Gestalt aus dem unthe­atralis­chen Text zu for­men, erst als Hand­ke zur kurzen Con­clu­sio kommt, steigt der Span­nungs­bo­gen für wenige Minuten an und reicht noch ger­ade aus bis zum finalen Black und bis in den ret­ten­den Schlußap­plaus hinein. Der Effekt hat ger­ade noch ein­mal aus­gere­icht. Gotscheff hat seinem Star nichts, aber auch gar nichts an die Hand gegeben, um sich aus der prekären Sit­u­a­tion zu ret­ten, nichts als den hos­pi­tal­isieren­den Dauer­gang in seinem nicht vorhan­de­nen Frettchenkä­fig.

Vergessen wir genau­so, daß dem Regis­seur Dimiter Gottscheff nicht das Ger­ing­ste zu ein­er szenis­chen Lösung eines gewalti­gen, über 150-seit­i­gen Kon­vo­lutes, dessen Textgestalt einen nahezu absat­zlosen Ser­mon darstellt, einge­fall­en ist. Rampe, Hin­ter­bühne, Tableau, Gang nach vorne, Gang nach hin­ten, Tableau, Rampe. Aus. Da ist wirk­lich das reine Nichts, schlösse man die Augen für einige Minuten, gar für eine halbe Stunde, es wäre nichts ver­säumt in der Szene. Herum­ste­hthe­ater. Zwis­chen­drin ein wenig Folk­lore, ein biss­chen Büh­nen­musik: Drehleier und Akko­rdeon, Zauber bul­gar­isch­er Stim­men, Ober­ton­sound. So ist der Balkan eben, ja? Ne. Ein Hör­spiel, eine szenis­che Lesung. Das The­ater find­et nicht statt.

Vergessen wir auch Katrin Bracks immer­gle­iche Riesel­büh­nen, ein raschel­nder kre­is­för­miger Dauer­re­gen, dies­mal grün­er, Papier­schnipsel. Anson­sten Koch-Plat­te bis zur Brand­mauer. Aber das ist ja, wie gesagt, hin­länglich bekan­nt.

Und vergessen wir jenen poe­si­etümel­nden hand­keschen Schol­len­schmu, diesen in der Büh­nen­fas­sung über vier Stun­den währen­den, im großen Stile scheit­ern­den Text zum mächti­gen und schwieri­gen The­ma “Heimat”.

Doch nicht ganz soll­ten wir diesen Text vergessen, sieht man ab von der poe­t­ol­o­gis­chen Gross­man­nssucht seines Ver­fassers, die wenig für ihn ein­nimmt. Für Hand­ke liegt der Begriff  “Heimat” ein­deutig an einem Ort, dem Ort des Dichters, in der Welt des Schreibers, der Poet­en – in der Sprache. Der Text wird nicht müde, das zu beto­nen. “Immer noch Sturm” ist ein Erin­nerungsstück, eine Iden­titäts­geschichte, die lit­er­arische, seit Jahren immer wiederkehrende Aufar­beitung der hand­keschen Fam­i­liengeschichte. Seine Iden­ti­fizierung mit seinen slowenis­chen Wurzeln, die er bis zur Farcenhaftigkeit immer wieder betont – man denke an seine selt­samen Ein­las­sun­gen in den 90er Jahren zur Ser­bi­en-Poli­tik – diese Aufar­beitung sein­er Herkun­ft nimmt in den let­zten Jahren immer wieder gehöri­gen Raum in seinem Werk ein.

Er, wie kön­nte ein Erzäh­ler in diesem Buch anders als “Ich” heißen, blickt auf die Geis­ter sein­er Ahnen zurück, in üppi­gen Wortkaskaden preist er das Idyll der Scholle, der Iden­tität, sein­er ver­lore­nen Sprache. Es erin­nert nicht von unge­fähr an die Sehn­sucht der Ost-“Vertriebenen”, die Rückbesin­nung an Ver­lorenes und nur in der Erin­nerung Beste­hen­des und gipfelt in eben jen­er ein­gangs beschriebe­nen Schluß-Sua­da seines “Ichs”, die dem armen Jens Harz­er so sehr zum Ver­häng­nis wird.

Es ist ein wichtiges The­ma, die Suche nach dem “woher” und dem “wohin gehöre ich” ist eine der ele­mentaren Fragestel­lun­gen der ich-ent­deck­enden Neuzeit und vor allem jen­er Nachkriegs­gen­er­a­tion, die, man mag es kaum sagen, für­wahr eine entwurzelte ist, in Orten und in Wahrnehmungen. Und es ist – so ist man gewohnt hier in Deutsch­land zu sagen, mit all seinen “Ver­triebe­nen” und “Geflüchteten” – ein schwieriges The­ma, weil es einen fortwährend den Atem des Revan­chis­mus im Nack­en spüren läßt, auch hier auf der Bühne des Thalia-The­aters. Hand­kes Heimat­platz, sein slowenis­ches Jaun­feld ist ein Hor­tus Con­clusus der Vorkriegszeit, eine zer­fal­l­ene Idee von Iden­tität, die wiederge­boren wird im Geiste ein­er neuen post­faschis­tis­chen Zeit. Wie diese aus­sah, muß nicht gesagt wer­den. Die Flucht in die Mut­ter­sprache ist auch nur ein Schat­ten­bild, eine Illu­sion hand­kesch­er Iden­tität. Immer­hin das zeigt der Abend, wen­ngle­ich unge­mein ver­steckt in seinem über­aus lan­gen Lese­text.

Auf keinen Fall vergessen dür­fen wir wieder ein­mal Bib­iana Beglau, deren unglaubliche Spiel­wut und Span­nung immer wieder eine große Freude zu sehen ist. Auch Tilo Wern­er macht eine gute Fig­ur. Und Hans Löw. Und Oda Thormey­er, die eine sehr acht­bare gefal­l­ene Hand­ke­mut­ter gibt. Diese Pre­miere aber, siehe oben, … ach, vergessen wir es wirk­lich, das Thalia-The­ater hat noch genug Pfeile im Köch­er dieser Spielzeit.

 

2 Kommentare

  1. Herr Schu­mann scheint das ganze Stück Agit-Prop zu nen­nen, das trifft nur auf Akt IV zu. Woran’s bei dem Stück hapert wird auf der Diskus­sions und auf der “director’sview” Seit­en [sie unten] bei dem Handkedrama.blog erörtert. Dem Stück fehlt etwas da Hand­ke lei­der das The­ma der Assi­m­il­i­a­tion der eige­nen Fam­i­lie überge­ht… also dass die Mut­ter einen Deutschen Sol­dat­en geheiratet hat! Da geht dem Stueck die Luft, die “ten­sion” aus!
    Anson­stens kön­nte es doch vom Per­sön­lichen ganz typ­isch generell wer­den! Aber die ersten drei Akte sind großar­tig — auch der let­zte, der Fün­fte. ja Sprache is das The­ma, und Handke’s Inbrun­st ist von Shake­pearear­tiger Groesse.

    LINK COLLECTION RE: PETER HANDKE’S
    IMMER NOCH STURM

    http://handke-drama.blogspot.com/2011/08/background-material-for-still-storm.html

    main dis­cus­sion page
    http://handke-drama.blogspot.com/2011/08/handke-immmer-noch-sturm-still-storm.html

    http://handke-drama.blogspot.com/2011/08/still-storm-introductory-thoughts-on.html
    [on lan­guage]

    http://handke-drama.blogspot.com/2011/08/directors-view-of-forever-storm.html

    SAMMLUNG BEIHNAHE ALLER REZENSIONEN/ REVIEWS
    http://handke–revista-of-reviews.blogspot.com/2011/08/immer-noch-sturm-still-storm-stormy.html

    SAMMLUNG VON PHOTOS DER URAUFFUEHRUNG
    BEI DEN SALZBURGER FESTSPIELEN.

    https://picasaweb.google.com/106505819654688893791/IMMERNOCHSTURMPHOTOSFOREVERSTORM

    • Das tut er mit­nicht­en, er weist nur auf das Ver­sagen des Textes auf der Bühne hin. Und die Heil­sah­nung und ‑hoff­nung zum Schluss, das unentsch­iedene Lavieren zwis­chen poet­is­chem Ver­sprechen und dem her­aufziehen­den Dun­st des Stal­in­is­mus ist wohl der aller­schwäch­ste Teil des Textes, über dessen Lesegüte man noch stre­it­en muss und kann. Das führte aber in ein­er Besprechung der Auf­führung in diesem Rah­men noch etwas zu weit, das Faz­it aber bleibt beste­hen: Als The­ater­text ist das Ganze gescheit­ert, als Insze­nierung sowieso.

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