Begleitet von Straßengeräuschen erscheint eine Schwarz-Weiß-Projektion auf der Leinwand. Autos hupen, ein Lied knistert wie auf einem alten Plattenteller, und zwei Tänzer gleiten elegant über die Bühne: das einstige Tango-Weltmeisterpaar German Cornejo und Gisela Galeassi. Drei weitere Paare ergänzen die Bühnen-Milonga, darunter auch das Ex-Weltmeisterpaar Ezequiel Lopez und Camila Alegre. Ein rauschender Elektro-Tango aus Drehungen, Hebungen, Scheren und Haken entsteht. Dann ein Bruch: Fünf Breakdancer erobern die Bühne mit Sprüngen, Rotationen und Akrobatik-Elementen. Das Battle zwischen den beiden Stilen ist ein mitreißender Stilmix, der sofort funktioniert.
Die Musik übernimmt die vierköpfige argentinische Live-Band Otros Aires mit Sängerin Gisela Lepio. Ihre kraftvolle Stimme fügt sich hervorragend zu der instrumental stark aufgestellten Band aus Klavier, Gitarre, Schlagzeug und Bandoneon. Bunt wie der choreografische Stilmix ist auch das Repertoire der Band von Elektrotango über traditionelle Stücke bis hin zu moderner Popmusik. Bühnenbild und Lichtprojektionen schaffen eine schummrige Clubatmosphäre mit Barhockern und Tresen – ein gelungener Rahmen für den Mix aus Tango und Breakdance, Tradition und Heute.
Die Mix aus Tango und Breakdance funktioniert aus mehreren Gründen: Beide Stilrichtungen haben ihre Wurzeln auf der Straße. Beide verleihen ihren Protagonisten in von Armut und Gewalt geprägten Gesellschaften Ausdruck. Der Tango hat seinen Ursprung Ende des 19. Jahrhunderts, als ein großer Einwandererstrom aus Europa im Großraum um Buenos Aires einsetzte, bedingt durch die wirtschaftliche Not in den Herkunftsländern und ein begünstigtes Einwanderungsprogramm der argentinischen Regierung. Die Einwanderer brachten mit ihren diversen Kulturen auch die unterschiedlichsten Tanzrichtungen mit, von der Polka bis zum Walzer. Darunter mischte sich der Candombe, ein Folklore-Tanz der afrikanischen Sklaven. Gepaart mit der kubanischen und argentinischen Musik der einheimischen Landarbeiter entstand der Tango. Der Traum von Wohlstand jedoch, den sich viele der Einwanderer erhofft hatte, blieb aus. Mehr noch, die Armut wuchs und die Armenviertel quollen über. Hier auf der Straße in den ärmsten Ecken Argentiniens tanzte man Tango – als Ausdruck für Sehnsucht, Melancholie, Schmerz, Liebe und Hass.
Wie der Tango war auch der Breakdance, früher als B‑Boying bezeichnet, Spiegelbild für die von Armut, Angst, Hoffnungslosigkeit und Gewalt geprägte Gesellschaft. Er wurde als Teil der Hip-Hop-Bewegung der 1970er und frühen 1980er Jahre insbesondere von den afroamerikanischen Jugendlichen aus den New Yorker Gettos geprägt. Der Tanz bot ihnen eine Alternative zur Gewalt der rivalisierenden Gangs und gleichzeitig war er ihr Kampf um einen Platz in der US-amerikanischen Gesellschaft.
Der Auftakt der Show, der Battle zwischen den Tango-Tänzern und den Breakdancern, soll an die Entstehungszeit der beiden Tanzrichtungen erinnern, in der es sich zu beweisen galt. Ihm folgen weitere Wechsel zwischen Tango und Breakdance-Einlagen bis hin zur Verschmelzung beider Tanzrichtungen. Zu Elekto-Tango Klassiker wie Otros Aires “Sin Rumbo” gleiten die knapp bekleideten Tänzerinnen lasziv über die Bühne, um dann wieder von ihren männlichen Kollegen kunstvoll über das Parkett geführt zu werden. Klassische Tanzschritte fließen über in Colgadas, der Königsdisziplin des Tangos. Gepaart mit Spagatsprüngen und Saltos entwickelt die Choreografie eine ganz eigene Dynamik.
Zu modernen Pop-Klassikern wie Christina Aguileras “Ain’t No Other Man” oder Beyoncés “Crazy In Love” leisten die B‑Boys eine umwerfende Breakdance-Performance. Zu Radio-Hits wie “Lean On” von Major Lazer vereinen die Tänzer beide Tanzrichtungen. Statt den beiden Tango-Weltmeistern führen nun die B‑Boys die Tänzerinnen, die wiederum Elemente des Modern-Dance in die Choreografie einfließen lassen. Das Treiben auf der Bühne ist wild, bunt und laut. Im Publikum wird mitgesungen und gewippt.
Höhepunkt der Choreografie ist eine Luftakrobatik-Performance des Tango-Weltmeister-Paares Pamela Pucheta und Edgar Luizaga. An zwei Seilen schwebend vollführen die beiden Profi-Tänzer einen Mix aus Schrauben, Wicklungen und Abfallern. Gebrochen wird die Nummer vom Sänger und Gitarristen Luciano Bassi, der die langsamen Akkorde der Piano-Ballade “Turning Tables” von Adele auf der Gitarre anstimmt. Dazu übernehmen die B‑Boys die Tanzperformance. Als Gegenpart erscheint Sängerin Gisela Lepio auf der Bühne und löst Bassi mit dem Stück “Halo” von Beyoncé ab. Dazu ein langsamer Tango von zarter Schönheit.
Mit dem Partykracher “Timber” von Pitbull und einem letzten Battle endet die Show. Die Tänzer stürmen ins tobende Publikum, in Halle 6 auf Kampnagel brodelt es. Dem Ensemble um die Choreografen German Cornejo und Björn “Buz” Meier gelingt es zwar nur im Ansatz, die dramatische Lage der Bevölkerung in den Armutsvierteln Argentiniens oder der Jugendlichen aus der Bronx wiederzugeben. Dennoch haben sie das Publikum mit ihrer Passion für den Tanz und ihrer enormen Qualität zweifelsfrei überzeugt. Das Gastspiel von “Break the Tango” ist noch bis zum 17. September 2017 auf Kampnagel zu sehen.
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