Uns hebt die Welle, und wir verschwinden

Eine Notiz zum Internationalen Sommerfestival: »Die Ausgedehnten – Eine Hafenkonzert-Rundfahrt über Wachstumsgrenzen (ohne Luft nach Oben)«

Auch wenn man kein Punk-Fre­und ist, klingt “Schorsch Kamerun & Fabi­an Hin­richs & Band” auf einem Schiff ver­lock­end. Wir leg­en ab. Alle suchen einen Platz, von dem aus man was sehen kann. Fehler 1 — denn es gibt nichts zu sehen. Die Band ste­ht düster im Ach­ter­deck hin­ter einem Per­len­vorhang und schwingt die Arme. Gesichter erken­nt man nicht. Unwis­send hat man neben dem Laut­sprech­er Platz genom­men:  Fehler 2 – die Musik (schrabbe­lig, trashig, leicht kon­sum­ier­bar­er Punkein­schlag) kommt schep­pernd daraus her­vor. Wenn man Glück hat, ver­ste­ht man die schrä­gen Texte von Schorsch Kamerun, wenn nicht, geht man oben an Deck eine rauchen und liest den Pro­gram­mzettel, auf dem zumin­d­est ein­er davon abge­druckt ist.

Die Botschaft ist klar: Über­all Mehrw­ert, Wach­s­tum hat Gren­zen, die Spi­rale des Kon­sums lässt sich nicht ewig in den Him­mel schrauben. Wir passieren Kräne und Con­tain­er­schiffe und bekom­men erzählt, wie viele Flatscreens in einen Con­tain­er passen, und dass ger­ade neue Con­tain­er gebaut wer­den, in die noch viel mehr Flatscreens passen. Die Ver­pack­ung ist mit­telmäßig.

Fabi­an Hin­richs schlen­dert im Janker mit einem Mikro an den Lip­pen über Deck, das Gesicht durch den Zettel ver­bor­gen, von dem er abli­est. Mit monot­o­n­er Stimme erzählt er vom Besuch bei Fre­und und TV-Unternehmer Loewe (“Mit OE!“ – müdes Lachen), mit dem er im “Gold­e­nen Löwen” (“Mit Ö” – wieder müdes Lachen) im spießi­gen Kro­nach zu Abend speist.

Bevor er damit begin­nt, fordert er das Pub­likum auf “die Herzen zu öff­nen”. Der Mitrauch­er auf dem Oberdeck stößt ein trock­enes “Ich bin sowas von auf” her­vor und bläst den Rauch in Kringeln über die Elbe im Abendlicht. Die Neben­ste­herin – übri­gens Dozentin an einem renom­mierten Ham­burg­er Schaus­piel­stu­dio – ist uns auf das Oberdeck gefol­gt, um dem Lärm zu entkom­men.

Während es dunkel wird über der Ham­burg­er Hafen­land­schaft und die Lichter ange­hen in den lux­u­riösen Neubaut­en der Hafenci­ty, sagt sie mit tiefer Zufrieden­heit “Wenig­stens macht man so mal eine Hafen­rund­fahrt.” Hin­richs erzählt die Con­tain­ergeschichte. Die Dozentin: “Wann macht man als Ham­burg­er noch eine Hafen­rund­fahrt?” Hin­richs weist uns an, die Augen zu schließen. Wir sollen uns alle nackt ausziehen, und dann wird er uns alle berühren.

Als wir Dock 10 passieren, dro­ht man uns an, die Fahrt vier­mal so lang zu machen wie ursprünglich geplant. Panis­ches Gelächter im Pub­likum. Die Band spielt “Unab­hängigkeit ist keine Lösung für mod­erne Babies”.

Ich bestelle Jäger­meis­ter zum Astra. Noch ein Lied über die ewige Spi­rale des Kon­sums, das – inhaltlich passend – nicht enden möchte.

Wir leg­en wieder an. Das war’s.

Lit­tle box­es made of ticky tacky (Bild: Sparklemotion/de.wikipedia)

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