Zu den unerfreulichsten Erscheinungen des Literaturbetriebes gehört dessen Selbstbezogenheit. Gelegentlich gibt es populistische Ausreißer (Ranicki, Heidenreich), doch “in” ist, wer sich der systematischen Schwurbelei und Kenntnis befleißigt. Das schützt natürlich vor allzu großer Publikumsnähe und schafft eine olympische Höhe der Beteiligten, die höher kaum sein kann. So geht denn auch in diesem Jahr der Preis für die verstiegenste Rede der Leipziger Buchmesse wieder an die Jurypräsidentin des Preises der Messe, Verena Auffermann. Schon im letzten Jahr glänzten sie durch ausgezeichneten Metaphernquatsch, in diesem Jahr zog sie mit schmalspurigem New-Media-Bashing (“Langsamkeit” von Literatur vs. schnelle und dumme Internet-Publikationen – sic!) gleich und das Premium-Zitat aller Literatur-Leser, Fontanes unvermeidliches “weites Feld” kam wieder einmal zum Einsatz. So ein Inhouse-Populismus ist natürlich komplett überflüssig, aber trennt offenbar die gute Gesellschaft von den “normalen” Lesern und suggeriert Qualitäts- und Elitenbewusstsein. An Humorlosigkeit ist dieser Duktus jedenfalls kaum zu übertreffen. Um so bemerkenswerter, dass es der Jury, der Auffermann vorstand, gelang, diesen Jargon vom Inhalt zu trennen. Die Preisträger des Jahres 2011 sind – bis auf die ehrenwerte Barbara Conrad, deren “Krieg und Frieden”-Neuübersetzung als gesetzt gelten konnte – zwar keine Überraschungen, aber dennoch konsequent gegen den Strich gewählt. Henning Ritters (Bestes Sachbuch) stiller Notizen-Band setzte sich gegen à la Mode-Titel wie Karen Duves “Anständig Essen” durch, und nicht der auf der Messe omnipräsente, ja, man könnte ihn sogar den Publikumsliebling nennen, Arno Geiger bekam den Belletristik-Preis, sondern Clemens J. Setz für seinen Erzählungsband “Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes”. Das HAMBURGER FEUILLETON wird beide Titel in den nächsten Wochen hier vorstellen, wir sind eben langsam und damit hoffentlich literaturwürdig.
Überhaupt, Arno Geiger – der hat offenbar das Kunststück vollbracht, ein Buch über ein Thema zu schreiben, über das eigentlich niemand reden möchte, aber wohl damit Herz und Kopf der Menschen erreicht. Alle Veranstaltungen mit ihm auf der Buchmesse waren überlaufen, und die, die da saßen, waren wirklich keine Schaulustigen. Auch dieses Buch werden wir hier besprechen. Aber auch das wird noch ein wenig dauern, denn … aber lassen wir das.
Um dann noch einmal auf den Anfang zurück zu kommen: Leipzig ist wirklich nicht der Ort elitärer Abgrenzung. Die Hallen summen munter vor sich hin, überall läuft junges Volk herum, mal bunt verkleidet, wie die Teilnehmer des letztjährig eingeführten Cosplay-Wettbewerbs mit ihren skurrilen Kostümen oder ganz “normale” Jugendliche, die sich vor allem in der Kinder- und Jugendbuchhalle 2 einen Spaß daraus machen, zwischen Messeständen und “Lesebuden” herumzuwandern und Autoren zu “sammeln”. Da trifft man dann auch solche Altmeister wie den hoch verschnupften Paul Maar, der nicht nur das wunderliche Sams erfunden hat, sondern auch Gedichte wie diese schreibt:
Es war einmal ein Aal,
der trug ’nen gelben Schal.
Da kauften sich die andren Aale
auch solche schicken gelben Schale.
Kurt Schwitters wäre sicher stolz auf ihn. Und wenn die Stimme wegbleibt, dann ist der Mann auch noch Zeichner und macht aus der Lesung ein Bilderrätsel. Kinderkram ist das nicht. Im Gegenteil.
Natürlich gibt es an jeder Ecke Lesungen. Immer hübsch anzusehen sind die Pinnwände an den Hallenwänden, die auch so allerlei Wunderliches (“Erotische Lesungen” mit Weichzeichnerbildern – das gibt’s da wirklich noch) ankündigen, in der Tat aber ein buntes Sammelsurium der Termine und Buchplakatkunst sind. Da hängt eben tatsächlich der schwarz-weiss kopierte Buchpreisträger neben dem Hamilton-Verschnitt in Vollfarbe. Da ist dann der Katalog beinahe überflüssig. Es gibt kleine Veranstaltungen, die das Zuhören lohnen, etwa den sehr gegenwärtigen Erzähler Gregor Sander, bei dem sich dann auch eine kleine Signierschlange bildet, oder die wunderbare Lyrikerin Silke Scheuermann, die ihren zweiten Roman “Shanghai Performance” präsentiert, ein bisschen peinlich-professionell befragt wird und danach gleich wieder an ihren Verlagsstand muss. Und man trifft die Vergessenen des Buchmarkts – während vom Nachbarstand der frenetische Jubel eines Giora-Feidmann-Konzertes herüberschallt, signiert Manuel Andrack auf einem Plastikstuhl vor weißer Stellwand etwa 6 Bücher.
Zur Buchmessen-Mode, denn die darf nach den Beobachtungen des letzten Jahres nicht fehlen, ist nur noch zu sagen: Das deutsche Kordsakko ist auf dem Rückmarsch, der Trend dieser Buchmesse war der dunkle Einreiher mit offenem Hemd, gern auch einmal ohne Sakko, aber dafür mit aufgekrempeltem Arm. Was mag das nur bedeuten?
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